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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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musst aufstehen,
sagte eine Stimme in meinem Kopf, aber meine Glieder wollten nicht gehorchen.
    Ich kauerte einige Fuß vom Kamin entfernt, beinahe vor dem Sarkophag, der noch im Lichtschein der Kerze lag.
Wenn du nicht stehen kannst, dann musst du kriechen,
sagte die Stimme. Ich machte einen weiteren Versuch, mich zu erheben, als ich vermeinte, ein Geräusch vom Kamin her zu hören. Ich biss die Zähne zusammen, um ihr Klappern zu unterbinden. Da war es wieder, ein bedrückender, dumpfer, knirschender Laut, als würde Stein über Stein geschoben. Er schien von unten zu kommen.
    Das Knirschen verstummte, für einige Sekunden war es vollkommen still, dann erklang ein schwaches, metallisches Quietschen. Ich hielt den Atem an; die Kerzenflamme wurde ruhiger.
    Der Deckel von Sir Henry Wraxfords Sarg öffnete sich langsam.
    Mein Herz machte einen entsetzlichen Sprung und hörte dann auf zu schlagen. In der nächsten Sekunde war ich auf der anderen Seite der Verbindungstür und kämpfte mit dem Schlüssel im Schloss, um die Tür zu schließen. Ich konnte den Lichtschein meiner Kerze durch den Spalt unter der Tür sehen. Dann begann ein anderes, kräftigeres Licht zwischen meinen Füßen zu tanzen. Ein Krachen, ein Schlag, dann das Geräusch sich nähernder Schritte.
    Ich dachte daran, zur Treppe zu rennen, aber ich hatte kein Licht, und der Besucher würde mich einholen. Der Türgriff klapperte, die Tür wackelte. Die Schritte entfernten sich entschlossen. In wenigen Augenblicken mussten sie den Treppenabsatz erreicht haben. All die Türen am anderen Ende der Bibliothek abzuschließen, würde mir nicht die Zeit bleiben, selbst wenn ich von einer zu nächsten rannte. Die Waffen an der Wand der Galerie fielen mir ein – sie hingen zu hoch für mich. Die Zinnkiste, die Vernon Raphael hinterlassen hatte – darin konnte etwas sein, womit ich mich verteidigen könnte, sofern meine zitternden Hände es halten konnten und ich nicht ohnmächtig wurde.
    Die grauen Zylinder, die Edwin gefunden hatte. Ich könnte sie an der Kerze anzünden und werfen – gegen das, was mich da verfolgte. Wahrscheinlich würde ich sterben, aber wenn es mich angriff, würde ich auch sterben, und vermutlich auf weit grausamere Art.
    Die Schritte entfernten sich weiter. Ich erfasste den Schlüssel mit beiden Händen und drehte ihn. Ein Kratzen, ein Schlag, aber die Schritte hielten nicht inne. Ich zog den Schlüssel heraus und schlüpfte in die Galerie zurück, gerade als das Licht durch die Flügeltür am anderen Ende verschwand. Der Schein der Laterne tanzte über die jenseitige Wand, die Schritte entfernten sich Richtung Treppe, die Dielen knarrten bei jedem Schritt. Für einen Moment dachte ich, ich würde verschont, aber dann hörte ich die Türangeln quietschen, als mein Verfolger die Bibliothek betrat. Ich wollte den Schlüssel ins Schlüsselloch stecken, aber meine Hände zitterten so sehr, dass ich es aus Angst vor dem metallenen Klappern, das dabei entstehen würde, unterließ.
    Meine Kerze brannte noch dort, wo ich sie auf den Boden gestellt hatte. Da stand die Zinnkiste, zwei Schritte von mir entfernt, halb verdeckt durch den Schatten der Rüstung. Die Schritte kamen aus der Bibliothek – einer, zwei, drei, danneine Pause. Licht drang unter der Tür hindurch. Ich biss mir auf die Lippen, um nicht einen Entsetzensschrei auszustoßen, stahl mich zu der Kiste hinüber und öffnete den Deckel, konnte aber nichts erkennen. Meine Finger ertasteten etwas Rundes, und ich hielt einen der Zylinder in der Hand. Aber welcher war es? Die Schritte erklangen wieder, ich konnte nicht sagen, in welche Richtung sie gingen.
    Ich bewegte mich auf die Kerze zu, stolperte beinahe über mein Kleid. Ich hatte keine Ahnung, wie schnell der Docht brennen würde, ging mir auf, als ich mich neben der Flamme hinkniete. Es war, als würde der Boden unter meinen Füßen nachgeben.
Wenn du ohnmächtig wirst, wird es dich fassen,
sagte die Stimme in meinem Kopf. Dann lieber auf der Stelle sterben. Ich hielt das Ende des Dochtes in die Flamme. Es begann mit schwachen, sprühenden, rötlichen Funken zu brennen, aber so langsam, dass ich kaum sehen konnte, wie sich das Feuer weiterbewegte.
    In panischer Angst sah ich die einzige Möglichkeit meiner Rettung. Ich machte einen Satz zu der Rüstung, griff nach dem Griff des Schwertes und legte, nachdem sich die Platten geöffnet hatten, den Zylinder hinein. Die Schritte hielten inne und bewegten sich dann schnell auf die Tür zu.

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