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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Ankunft von Lord und Lady Rutherford am Samstag verbleiben achtzehn. Wetterverschlechterung, aber die jüngeren Herren machen nach wie vor Ausritte. Sprach mit Drayton wegen des Champagners   …
     
    Ich las Eintrag um Eintrag mit der ausführlichen Beschreibung großer Feste, die unmöglich stattgefunden haben konnten. Das Herrenhaus in Cornelius Wraxfords Phantasie – denn wer sonst hätte das geschrieben haben können? – war umgeben von Rosengärten, Steingärten, Teichen, Krocketrasen und einem Feld zum Bogenschießen, liebevoll gepflegt von einer Armee von Gärtnern. Allabendlich wurden große Bankette im Saal abgehalten, zu denen die Crème de la Crème der englischen Gesellschaft erschien; die Schüsse der Jagdgesellschaften hallten durch den Mönchswald. Ich nahm weitere Bände und stellte fest, dass sie gleichermaßen tägliche Berichte eines großartigen ungelebten Lebens enthielten, Berichte, die geschrieben worden waren, während das wirkliche Herrenhaus immer mehr verfiel.
    Edwins Stimme, gedämpft, aber deutlich ängstlich, hallte durch das Treppenhaus. Ich war geradewegs auf die Vitrine zugegangen, ohne mich umzusehen. Als ich mich nun umdrehte und die Laterne erhob, sah ich ein Bündel alter Kleidung hinter der Tür.
    Nur, dass da noch etwas in der Kleidung war. Etwas mit ausgetrockneten Klauen anstelle von Händen und einem geschrumpften Kopf, nicht größer als der eines Kindes, an dem noch einige Strähnen schütteren weißen Haares klebten. Der Mund, die Nasenlöcher und die Augenhöhlen waren von Spinnweben verstopft.
     
    ∗∗∗
     
    Ich glaube nicht, dass ich in Ohnmacht fiel. Aber ich erinnere mich erst wieder daran, dass Edwin mich im Arm hielt und beruhigend, wenn auch mit etwas zitternder Stimme, auf mich einredete, dass alles in Ordnung sei. «Wir können nicht hierbleiben», sagte ich und löste mich aus seiner Umarmung. «Wenn uns jemand sieht   …?»
    «Hier ist niemand, das verspreche ich dir. Und ja, ich glaube, das ist Cornelius.»
    Ich nahm den letzten Band des Tagebuches, riss mich vom Anblick des schauderhaften Objekts hinter der Tür los und folgte Edwin die Stufen hinab und durch den verhältnismäßig warmen Raum der Bibliothek. Der Nebel draußen war nach wie vor undurchdringlich.
    «Es ist erst halb drei», sagte Edwin. «Er kann immer noch kommen.» Aber er klang nicht sehr überzeugt.
    «Und wenn er nicht kommt?»
    «Unser Essen und die Kohle reichen für die Nacht. Hoffen wir, dass es dazu nicht kommen wird.»
    Wenn ich die Nacht hier alleine zubringen muss, dachte ich, werde ich vor Angst wahnsinnig. Edwin legte die letzten Kohlennach – im Keller gebe es mehr – und fachte das Feuer an, während ich ihm erzählte, was ich gefunden hatte. Jede Pause machte mir die lauschende Stille um uns bewusst.
    «Also hatte Vernon Raphael recht», sagte er. «Damit, dass Cornelius kein Alchemist war.»
    «Und wie steht es damit, dass Magnus ihn ermordet hat?»
    «Nein. Wie Raphael sagte; Magnus konnte kein Interesse daran haben, dass Cornelius verschwindet. Nachdem er sich solche Mühe damit gemacht hatte, die Legende von der Rüstung in die Welt zu setzen, warum hätte er den Leichnam nicht in die Rüstung legen sollen? Ich frage mich, ob Cornelius einfach dort oben starb, an einem Schlaganfall oder Herzinfarkt, auch wenn das ein fast unglaublicher Zufall wäre. Oder das Gewitter hat ihn zu Tode erschreckt. Nein, Magnus
kann
dieses Geheimzimmer nicht gekannt haben, sonst hätte er den Leichnam gefunden, was ihm die Gerichtskosten erspart hätte.»
    «Dann wusste Magnus nichts von der Traumwelt seines Onkels», sagte ich. «Ich hätte nie gedacht, dass mir Cornelius einmal leidtun würde, aber natürlich: Der Mann, den John Montague beschrieb, war Magnus’ Erfindung.»
    «Vielleicht war er das», sagte Edwin, während er in dem Notizbuch blätterte. «Aber warum um alles in der Welt verkroch er sich in dieser Kammer und schrieb all das auf?»
    «Weil   … weil es einfacher war, dort eingeschlossen, sich Wraxford Hall so auszumalen, wie er es sich wünschte», sagte ich. «Und weil er es vollkommen geheim halten musste – gewissermaßen auch vor sich selbst. Armer alter Mann! Alles, was wir über Magnus erfahren, lässt ihn noch bösartiger erscheinen.»
    «Und, wie du sagst, wir können nicht einmal sicher sein, dass er tot ist. Cornelius erwähnt ihn nicht einmal. Er muss sein erträumtes Leben bis zu seinem Tod fortgeführt haben. Der letzte Eintrag stammt vom 20.  

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