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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Mai 1866 – ‹Lord und Lady Cavendish haben sich für Freitag angekündigt›   –, das ist der Tag des Gewitters. Das kann doch kein Zufall sein, es sei denn   …zeig mir noch einmal John Montagues Bericht von der Untersuchung.
    Ja, hier ist es: Mr   Barrett über die Auswirkungen von Blitzen. ‹In einem Fall hatte ein Mann das Bewusstsein verloren, doch als er wieder zu sich kam, ging er weiter, ohne sich daran zu erinnern, dass er vom Blitz getroffen worden war.› Es könnte sich so zugetragen haben: Cornelius könnte instinktiv in sein Versteck zurückgekommen und dort an den Folgen des Schocks oder der Gehirnerschütterung gestorben sein   … Im Übrigen glaube ich, dass wir uns auf eine weitere Nacht hier einrichten müssen.»
    Es war dunkel geworden, sodass der Nebel nicht mehr sichtbar war. Die schmuddeligen Wände und die Reihen von Buchrücken aus Leder in den Regalen saugten das wenige verbleibende Licht förmlich auf. Edwin erhob sich und zündete die beiden Kerzenstummel auf dem Kaminsims an.
    «Ich glaube, unter den gegebenen Umständen sollten wir beide in dem Zimmer, in dem du die letzte Nacht geschlafen hast, nächtigen. Wir haben jedenfalls nicht genug Kohlen für zwei Feuer   …»
    «Ja», sagte ich zitternd.
    «Dann sollte ich die restliche Kohle aus dem Keller holen, ehe es vollkommen dunkel ist. Nein», sagte er, als er meinen angsterfüllten Gesichtsausdruck sah, «mir gefällt das auch nicht. Aber ohne Kohle werden wir erfrieren.»
    Er entzündete seine Laterne, nahm die Kohlekiepe und ging zur Treppe; die Tür ließ er einen Spalt weit offen stehen. Er entfernte sich, das Ächzen der Dielen verriet jeden seiner Schritte, bis es sich schließlich in ein gedämpftes Knarren verwandelte, ehe es ganz verschwand und vollkommene Stille einkehrte. Wir hatten zwei rissige Ledersessel vor den Kamin gestellt, der hinten an den der Galerie angrenzte. Der Kamin stand etwa auf halber Höhe dieser Trennwand zur Galerie, die ansonsten von Bücherregalen verdeckt war, die irgendwo imDunkel über mir verschwanden. Mein Gefühl, beobachtet zu werden, wuchs, und so sprang ich schließlich auf und drehte mich mit dem Rücken zum Feuer. Aber auch dann war es unmöglich, alle vier Eingänge zugleich in den Blick zu nehmen. So sah ich von einer Tür zur anderen in dem Bemühen, mein Herzklopfen zu überhören. Mein Schatten, der sich eigenständig zu bewegen schien, fiel über die Schwelle zum Arbeitszimmer gegenüber. Ich erwog, die Kerzen auszupusten, aber dann würde ich die Türen zum Treppenabsatz nicht mehr sehen können.
    In der Schule hatte ich gelernt, dass man Sekunden mittels des eigenen Herzschlags zählen kann. Der meine raste deutlich schneller als das maßvolle Ticken einer Uhr, aber ich begann einfach zu zählen. Nur dass ich den Faden verlor: Ich erreichte zwanzig oder dreißig und wurde dann von eingebildeten Lauten oder Bewegungen abgelenkt und begann von neuem. Endlose Zeit stand ich so, während es vor den Fenstern immer dunkler wurde; Edwin kam und kam nicht zurück.
    Ich wusste, was zu tun war: Ich musste die andere Laterne finden und in den Keller hinabsteigen. Er konnte gestürzt sein und sich den Knöchel verstaucht oder den Kopf gestoßen haben oder   … Allerdings wusste ich nicht, wo sich der Keller befand, und ich klapperte ja schon hier vor Angst mit den Zähnen.
    Edwin, dachte ich, hatte die Laterne an der Treppe zu dem geheimen Zimmer zurückgelassen. Ich nahm einen der beiden Kerzenständer vom Kaminsims, beschirmte die Flamme mit der Hand und ging auf die Zwischentür zu.
    In den Fenstern über mir war noch ein Schimmer des Zwielichts, aber am anderen Ende der Galerie herrschte bereits undurchdringliche Dunkelheit, und im Schein der Kerze ergab sich alles andere als ein klares Bild. Die schwarze, massige Gestalt der Rüstung stand zwischen mir und dem Eingang. Instinktiv machte ich einen Bogen darum, meine Schritteknirschten, bis ich schließlich den Holzhammer und den Meißel auf dem Boden sehen konnte, aber keine Laterne.
    Dann erinnerte ich mich, dass Edwin mir aus dem Geheimzimmer hinabgeholfen hatte, ich hatte Cornelius’ Tagebuch getragen, aber keine Laterne, und er hatte den Weg mit seiner eigenen erhellt. Meine brannte noch auf dem Tisch in dem geheimen Zimmer.
    Meine Kräfte verließen mich und ich sank zu Boden; es gelang mir gerade noch, den Kerzenhalter neben mir auf den Boden zu stellen. Wachs tropfte auf meinen Handrücken.
Du musst aufstehen, du

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