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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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mich nicht anhören?»
    Sie betrachtete mich schweigend, bis ich schon dachte, alles sei verloren.
    «Steigen Sie die Stufen hinauf und warten Sie beim Kirchhof», sagte sie schließlich und verschwand im Haus.
    Ich tat, wie mir geheißen war, und stand einen weiteren langen Zeitraum zwischen den Grabsteinen. Eine kalte Brise zerrte an meiner Haube, und um mich herum schrien die Möwen. Irgendwann erschien eine Gestalt in einem Umhang auf der Anhöhe und kam über das feuchte Gras auf mich zu.
    «Also», sagte sie ebenso streng wie vorher. «Was wollen Sie von mir?»
    «Um Ihnen zu zeigen, dass Sie mir trauen können, lege ich mein Leben in Ihre Hände. Magnus Wraxford ist tot – er starb durch meine Hand vor zwei Tagen in Wraxford Hall unter dem Namen Doktor James Davenant. Er wollte mich ermorden, aber ich brachte ihn in Notwehr um. Die Polizei weiß nichts davon; sie hält es für einen Unfall. Ich kam her, um Sie zu bitten, nach London zu kommen und – ihn als Magnus zu identifizieren   –»
    Sie blickte mich mit entsetzter Besorgnis an.
    «Miss Langton, Sie sind nicht bei Trost. Sie sollten das einem Arzt oder einem Geistlichen erzählen, nicht mir.»
    «Ihr Ehemann ist ein Geistlicher   –»
    «Mein Mann starb vor zehn Jahren.»
    «Es tut mir leid, das zu hören», sagte ich. «Aber er war doch der George Woodward, der einmal Pfarrer von St Mary’s in Chalford war?»
    «Nein, Sie müssen ihn mit einem anderen George Woodward verwechseln.» Aber da schwang eine leise Verzweiflung in ihrer Stimme mit, die mich fortfahren ließ.
    «Wenn Magnus als Davenant beerdigt wird, dann wird alle Welt weiterhin glauben, Nell habe ihn ermordet, und Clara, tot oder lebendig, wird niemals von der Schande befreit   –»
    «Ich erinnere mich an den Fall», sagte sie vorsichtig, «wobei ich nichts damit zu tun hatte. Und – angenommen, dieser Mann, den Sie behaupten umgebracht zu haben, ist nicht Magnus Wraxford – was dann?»
    «Sie meinen», sagte ich, und unweigerlich traten mir Tränen in die Augen, «dass Sie, wenn Sie nach London kämen und es sich nicht um Magnus handelt, Nell der Polizei ausliefern würden und dass Sie dieses Risiko nicht auf sich nehmen können?»
    «Das ist Ihre Aussage, nicht meine», antwortete sie, aber ihre Stimme war jetzt weicher.
    «Da ist eine Sache», sagte ich zögernd. «John Montague sagte mir – kurz vor seinem Tod   –, dass ich ihn sehr an Nell erinnere, und ich frage mich   … ob ich Clara Wraxford sein könnte.»
    Dieses Mal gab es keinen Zweifel an dem Schrecken, der sich in ihrem Gesicht abzeichnete.
    «Miss Langton, Sie müssen mich verstehen: Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie haben sicherlich Freunde oder Familie – jemanden, dem Sie sich anvertrauen können?»
    Ich schüttelte den Kopf.
    «Einen Arzt vielleicht?»
    «Mir kann jetzt niemand helfen.»
    «Das zu hören tut mir leid», sagte sie aufrichtig. «Was werden Sie jetzt tun?»
    «Ich werde den nächsten Zug nach London zurück nehmen und dann   …» Ich wollte gerade sagen, dass ich zur Polizei gehen und ein Geständnis ablegen würde, als mir einfiel, dass ich das wegen Edwin nicht würde tun können.
    «Und dann   …?», hakte sie nach.
    Ich wusste nichts zu sagen; meine Zukunft schien genauso grau und konturlos wie der Ozean hinter ihr.
    «Es tut mir leid», wiederholte sie, «aber ich muss nun gehen. Leben Sie wohl, Miss Langton. Ich wünsche   …»
    Sie hielt einen Moment lang inne, dann drehte sie sich mit einem Ruck um und ging mit schnellen Schritten über das feuchte Gras davon.
     
    ∗∗∗
     
    Ich kam erst um zehn Uhr nachts nach Hause. Mein Onkel war bereits in sein Zimmer gegangen, als wolle er mir damit zu verstehen geben, dass er nichts von mir wissen wollte, aber Dora wartete noch auf mich. Sie erzählte mir, dass Edwin während meiner Abwesenheit zwei Mal vorbeigekommen sei und mir eine Nachricht hinterlassen habe. «Ich werde morgen ab zwei Uhr im Botanischen Garten in Regent’s Park sein und dort den Nachmittag über auf Dich warten. Bitte, komm. E.»
    «Aber sagen Sie Ihrem Onkel nicht, dass ich sie Ihnen überbracht habe», sagte Dora. «Als er sah, dass es Mr   Rhys war, verbot er mir, ihn hereinzulassen. Und er sagte, Sie müssten sich das ansehen.» Mit diesen Worten wies sie auf die Abendzeitung, die mein Onkel gut sichtbar auf dem Tisch in der Diele bereitgelegt hatte. Eine Spalte unter der Überschrift «Herausragender Wissenschaftler tot: Mysteriöse Explosion in Wraxford

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