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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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meine Eltern sich so weit voneinander entfremdet hatten, dass sie ziemlich getrennte Leben führten und einander so weit wie möglich mieden. Solange die Pagets, bis zum Schluss ein liebevolles Ehepaar, in der Nähe waren, machte mir das alles nicht viel aus. Aber kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag starb James Paget plötzlich, gefolgt, nur wenige Monate später, von meinem Vater.
    Adas Mutter lebte von da an bei Verwandten auf der Isleof White, Ada selbst heiratete einen Geistlichen, mit dem sie einige hundert Meilen entfernt in einem Dorf in Suffolk lebte. Ich hingegen war immer noch zu Hause, rastlos, unglücklich und ständig im Zwist mit meiner Mutter. Ich hatte mich im Malen und Musizieren geschult, doch über eine Beherrschung der Technik kam ich nicht hinaus. Ich hatte mich an einem Roman versucht, war auch bis zum dritten Kapitel gekommen, ehe mich der Zweifel an meinem Können davon abbrachte. Ich hatte darum gebettelt, mich nach einer Stelle als Kindermädchen umsehen zu dürfen, aber meine Mutter wollte davon nichts wissen. Sophies Erfolg bei Arthur Carstairs hatte die Enttäuschung meiner Mutter über mich, die sie als fühllos, undankbar, unverschämt, widerspenstig, verdrießlich und streitsüchtig beschrieb, nur gesteigert. Bei aller Ungerechtigkeit ihrer Schimpftiraden musste ich ihr doch ein Stück weit zustimmen, da das Gefühl meiner eigenen Wertlosigkeit und der Eindruck, mein Leben würde mir durch die Finger rinnen, mich niederdrückten.
     
    ∗∗∗
     
    Wie schon die Erscheinung meiner Großmutter an meinem Bett, so folgten auch auf die Erscheinung meines Vaters nach einer eigenartigen Ruhepause mörderische Kopfschmerzen. Ich hatte keine Verbindung gesehen zwischen der ersten Visitation – dies schien mir immer noch das beste Wort – und dem Sturz. Aber nun begann ich mich zu wundern. Ich hatte gehört, dass man davon sprach, jemand sei «gebrochen», und vielleicht war diese Bezeichnung wörtlicher zu nehmen, als ich gedacht hatte. Könnte der Sturz einen feinen Riss in meinem Bewusstsein verursacht haben, der Erscheinungen zuließ, die sonst keinen Zugang fanden? Aber das würde bedeuten, dass die Erscheinung gewissermaßen real war, wobei, wenn niemand sie sehen konnte   … Aber natürlich konnten andere sienicht sehen, wenn nur mir dieses außergewöhnliche Sehvermögen zuteilwurde.
    Ich war klug genug, weder meiner Mutter noch meiner Schwester davon zu erzählen. Ich konnte mich auch nicht dazu überwinden, Ada davon zu schreiben, obgleich ich ihr von dem Sturz und dem eigenartigen Leuchten danach erzählt hatte. Mir ist nicht klar, ob ich ihr Glück nicht stören wollte oder ob ich fürchtete, sie könne mich für verrückt halten. Als die Tage ohne weitere Visitationen dahingingen, versuchte ich mich davon zu überzeugen, dass nichts weiter geschehen werde. Aber etwas in meinem Inneren hatte sich gewandelt, ganz leicht, doch unverkennbar. Es war, als ginge man in ein Zimmer, dessen gewiss, dass sich die Farbe der Wände oder die Muster der Teppiche geändert hatten, ohne dass man genau hätte sagen können, wie. Vertraute Gerüche oder Geschmäcke schienen plötzlich verstärkt; und der Frühling allein konnte das nicht erklären. Da war ein Funken von – es war nicht wirklich Vorahnung, aber etwas hing in der Luft. Sehr deutlich hatte ich bei mehreren Gelegenheiten das Gefühl, ich wüsste von allen Anwesenden, was sie in den nächsten Minuten sagen würden. Und einmal, als Mama darüber klagte, dass sie einen Stein aus ihrer Lieblingskette verloren hatte, ging ich einmal durchs Haus ins Esszimmer und kniete mich hin, um unter dem Schrank aus der dunkelsten Ecke den verlorenen Jett-Stein hervorzuholen. Ich hatte keine Ahnung, woher ich das gewusst hatte, und war ziemlich froh, dass meine Mutter dieses bemerkenswerte Kunststück nicht gesehen hatte.
    Einige Wochen waren in dieser unangenehmen Stimmung vergangen, als Mama den Besuch von Arthur Carstairs’ Mutter und Schwester ankündigte. An besagtem Nachmittag kam ich nach unten, um mit den anderen auf die Ankunft unserer Gäste zu warten. Als ich ins Esszimmer trat, sah ich Mama und Sophie gegenüber einen jungen Mann sitzen. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen. Es war ein schlanker, dunkelhaariger Mann.Er schien Trauer zu tragen und war in die Betrachtung des Teppichs zu seinen Füßen versunken, fast als wolle er aus Bescheidenheit seinen Blick abwenden und unbemerkt bleiben. Ansonsten machte er einen ganz gelassenen

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