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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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Constance, und du wirst mir diesen Gefallen tun, wenn ich bitten darf. Ich habe Miss Hale davon in Kenntnis gesetzt, dass du am Ende dieses Schuljahres die Schule verlässt; sie wird heute mit dir darüber sprechen.»
    Säuberlich faltete er seine Zeitung zusammen, stand auf und war fort, bevor ich ihn fragen konnte, ob er es Mama bereits gesagt hatte.
    Ich verbrachte den Tag in einer gewissen Benommenheit. Ich erinnere mich daran, dass Miss Hale – die sehr klein und füllig war, sodass sie einem Medizinball auf Füßen glich – mich in ihr Zimmer rief, aber ich kann mich an kein einziges ihrer Worte erinnern. Erst als ich am Nachmittag nach Hause kam und auf dem Weg nach oben aus Mamas Zimmer ersticktes Schluchzen hörte, begriff ich schlagartig das Ausmaß meiner schrecklichen Lage. Für eine kurze Ewigkeit stand ich auf demTreppenabsatz in dem Wunsch, das Schluchzen möge aufhören, dann schlich ich in mein Zimmer.
    Ich hatte wenig an die Zukunft gedacht, abgesehen von Tagträumen, in denen ich am Ende meiner Schulzeit einen kühnen Entdecker heiraten und mit ihm um die Welt reisen würde, während Mama und Papa ihr Leben in gewohnter Weise fortsetzten. Nun wurde mir klar, dass mein Vater seinen Plan schon vor langer Zeit geschmiedet hatte. Ich würde hier gefangen sein, solange meine Mutter lebte, es sei denn, es gelänge mir, mein Herz so weit zu verhärten, dass ich sie verlassen könnte, so wie er es jetzt tat. Und selbst diese Möglichkeit würde mir erst dann offenstehen, wenn ich volljährig war und mein Leben selbst würde gestalten können.
    Lettie und Mrs   Greaves, wenn auch voller Sympathie für mich, waren bei weitem nicht so schockiert über Papas Flucht, wie ich es mir gewünscht hätte. Mrs   Greaves sagte, es wäre ein Wunder, dass er so lange geblieben war, und Lettie meinte, er habe uns wenigstens nicht allesamt auf die Straße gesetzt, so wie ihr eigener Vater das getan habe. Und vielleicht, sagte Mrs   Greaves, könne ich ja meine Mutter überreden, der spiritistischen Gesellschaft in Holborn beizutreten, wenn mein Vater erst fort wäre; vielleicht brauchte es genau das zu ihrer Aufmunterung. Lettie und ich warfen uns einen Blick zu; Lettie hatte mir im Vertrauen erzählt, dass Mrs   Veasey, die manchmal den Vorsitz bei den Séancen in der Lamb’s Conduit Street führte, dazu neigte, Dienstboten über die Teilnehmer ihrer Séancen auszuhorchen.
    Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen, ging nach oben und klopfte an die Tür meiner Mutter. Ich fand sie zusammengekrümmt auf einem niedrigen Stuhl sitzen, den sie genau im Eingang zu Almas Zimmer stehen hatte. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen, und sie sah alt und zusammengesunken aus. Voller Gewissensbisse kniete ich neben ihr nieder und legte meinen Arm um ihre steifen Schultern.
    «Dein Vater hat es dir also gesagt?», sagte sie leise und verzweifelt.
    «Ja, Mama.»
    «Es ist meine Strafe.»
    «Wofür?»
    «Dafür, dass ich Alma sterben ließ.»
    «Aber Mama, du hättest sie nicht retten können. Und Alma ist jetzt im Himmel; eines Tages wirst du wieder bei ihr sein.»
    «Wenn ich es nur
sicher
wüsste», flüsterte sie.
    «Mama, wie kannst du daran zweifeln? Sie war ein unschuldiges Kind, wie sollte sie nicht direkt in den Himmel gekommen sein?»
    «Ich meine, ich bin nicht sicher, dass es einen Himmel
gibt

    Bei diesem Echo meiner eigenen Frage an Mrs   Greaves kam mir die Idee: Anstatt Mama zu überreden, der Gesellschaft beizutreten, würde ich selbst Almas Geist rufen.
    Am nächsten Morgen vermied ich eine Begegnung mit meinem Vater, indem ich in der Küche frühstückte, und als ich aus der Schule nach Hause kam, war er fort. Lettie sagte mir, dass er an diesem Tag nicht ins Museum gegangen war; zwei Männer waren um halb neun mit einer Wagenladung Kisten gekommen. Sie hatten unter den Anweisungen meines Vaters gepackt, und noch vor zwei Uhr war er auf dem Weg nach St Pancras. Doktor Warburton war eine halbe Stunde später gekommen. Mein Vater hatte mir einen Brief auf dem Tisch in der Diele hinterlassen, der ausschließlich aus Anweisungen bestand, außer dem letzten Satz: «Du brauchst mir nicht zu schreiben, außer im Notfall. Dein Dich liebender Vater Theo Langton.»
    Ich kann mich nicht daran erinnern, irgendetwas gefühlt zu haben; benommen ging ich in mein Zimmer und begann, für meine Séance zu proben. Aus halbgeschlossenen Augen beobachtete ich mich im Spiegel und versuchte mich daran zu erinnern, wie

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