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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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wenn ich nicht vermutete, dass es eher für Mrs   Bryant als für mich getan wurde. Da ich den Vorsitz bei ihrer Séance führen werde, muss der Schein gewahrt bleiben – nicht, dass es wahrscheinlich wäre, dass sie je einen Fuß hier hereinsetzt. Der Boden knarrt, wohin immer ich trete, wie vorsichtig ich auch den Fuß aufsetze. Das Bett ist ein altes Himmelbett, der Baldachin wurde entfernt – er zerfiel sicherlich in Fetzen   –, wenigstens sind die Laken frisch und trocken. Im Zimmer stehen eine Truhe, ein Waschtisch, ein Ankleidetisch, alles aus sehr altem, dunklem Holz. Der Schreibtisch, an dem ich sitze   … auch hier weiß ich nicht, ob ich es beruhigend oder unheimlich finde, dass er hier steht. War er schon hier, oder hat Magnus ihn hierherbringen lassen, als wolle er sagen: «Mein Liebling, ich weiß genau, was du schreiben möchtest. Also glaub nicht, dass du mich davon abhalten kannst, es zu lesen»?
    Der Schreibtisch steht unter dem Fenster, von dem aus man tagsüber auf eine Grasfläche hinabblickt – weit hinab   –, die gerade erst gemäht wurde, sodass (ich bemerkte es heute Nachmittag) die Halme noch gelblich blass sind. Die Bäume auf der Wiese sind so hoch, dass sie den Himmel halb verdecken. Aber jetzt spiegelt sich im Fenster nur die Kerzenflamme unter einem verschwommenen Bild meines Gesichts; ansonsten ist die Dunkelheit vollkommen.
     
    ∗∗∗
     
    Unendlich oft habe ich mich gefragt, ob Magnus, als es ihm glückte, mich zu hypnotisieren, mich seinem Willen gefügig machte oder ob er mir meine Wahrnehmung nahm, lang genug, damit ich ihm mein Wort gebe. Aber wenn er das tat,so ist die Erinnerung daran unwiederbringlich verloren, und man kann mir wohl vorwerfen, dass ich ihn heiratete. Ich wusste, dass ich ihn nicht liebte, und hätte ihm sagen sollen, dass ich es mir anders überlegt hätte, wie Ada mir vorschlug. Ich sehe noch ihren leidenden Gesichtsausdruck bei der Hochzeit, ihr weißes Gesicht vor mir. Ich habe sie seither nicht gesehen. Ich schreibe in meinen Briefen, ich sei glücklich, und sie gibt vor, mir zu glauben. So sind unsere Briefe immer seltener geworden. Aber ich werde mich ihr nicht anvertrauen; sie hat selbst genug Sorgen.
    Wie konnte ich mir nur vorstellen, dass ich ihn begehren könnte, wie er mich begehrt? Es scheint mir jetzt, dass ich, selbst bevor wir heirateten, vor seiner Berührung zurückwich. Aber das kann nicht sein, es sei denn, Begehren macht Männer vollkommen blind – selbst einen so feinsinnigen und scharfsichtigen Mann wie Magnus. In unserer Hochzeitsnacht – ich
werde
es schreiben – fand ich den Akt extrem schmerzhaft (wäre es so mit Edward gewesen? Ich kann es nicht glauben), aber mein Schmerz schien ihn nur mehr zu erregen. In der nächsten Nacht tat er es wieder, ebenso in der übernächsten (an die dazwischen liegenden Tage erinnere ich mich kaum). Ich versuchte vorzugeben, versuchte mir einzureden, dass ich mich daran gewöhnen würde, aber obgleich der physische Schmerz irgendwie weniger wurde, nahm das Gefühl einer erlittenen Gewalttat zu. Da ich keine Hochzeitsreise gewollte hatte, begaben wir uns direkt in sein Haus am Munster Square. Mein Zimmer war im zweiten Stock; seines im ersten, aber während dieser ersten Tage – oder waren es Wochen? – betrachtete er mein Zimmer als sein eigenes, bis zu dem Morgen, an dem alles unwiderruflich verändert war.
     
    Ich muss zum Frühstück nach unten gegangen sein, wobei ich mich nicht daran erinnere, mich angezogen oder das Haar hochgesteckt zu haben, nur – als wäre ich geschlafwandeltund hätte mich plötzlich hellwach am Frühstückstisch wiedergefunden. Ich erinnere mich nur, wie ich das Dienstmädchen an der Anrichte stehen sah, als Magnus in der Tür erschien. Das Dienstmädchen heißt Sophie, genau wie meine Schwester, ein Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren, klein, schüchtern und liebreizend. Magnus trat neben mich und legte mir die Hand in den Nacken, und – ich konnte nichts dagegen tun – ich erschauderte heftig bei dieser Berührung. Sophie bemerkte es, errötete und huschte aus dem Zimmer.
    Die Hand in meinem Nacken schien zu versteinern. Einen Augenblick herrschte vollkommene Stille, dann wurde die Hand fortgenommen, ich sah ängstlich auf. Magnus’ Gesicht war vollkommen ausdruckslos. Für eine weitere kurze Ewigkeit blieben wir so. Er nickte langsam, als versichere er sich selbst etwas, und – als wäre leicht und still ein Schleier zugezogen worden –

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