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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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sindMagnus’ rechtmäßiger Besitz, und er würde uns früh genug zurückfordern. Selbst ohne die Visitationen würde meine Flucht als Beweis meines Wahnsinns betrachtet werden, denn ich kann mich über rein gar nichts beklagen: Magnus hat mich nie geschlagen, nie schlecht behandelt, er ist mir gegenüber noch nicht einmal laut geworden. Es stimmt, dass ihm an Clara nichts liegt, aber ich habe gehört, dass viele Männer so reagieren, wenn ihre Hoffnung auf einen Erben zunichtegemacht wird. Er ist in jeder Hinsicht ein Vorbild von einem Ehemann – nur dass seine Gegenwart mich mit Angst erfüllt.
    Aber halt, ich darf nicht
davon ausgehen,
dass ich hier eine Gefangene bin. Es gibt natürlich keinen Kinderwagen, und Clara ist mittlerweile so groß, dass ich sie nicht länger als eine halbe Stunde tragen kann; dann beginnt mein Rücken furchtbar zu schmerzen. Magnus hatte in London keine Vorkehrungen gegen meine Flucht getroffen, warum sollte es ihm hier etwas ausmachen, wenn ich Alfred befehlen würde, mich nach Aldeburgh zu bringen? Doch den einzigen Menschen, den ich dort kenne, ist Mr   Montague, dessen Bewunderung für Magnus über alles geht. Selbst wenn ich ihm vertraute, was ich nicht tue, würde er mir erzählen, dass es keinen Grund für meinen Verdacht gebe, und er würde mich umgehend zurückschicken.
    Und meine Bewegungsfreiheit hat Grenzen. Die Bibliothek und die alte Galerie, von der Cornelius Wraxford verschwunden ist, sind abgeschlossen, aus Sicherheitsgründen, wie Bolton behauptet – er sagt, dass Magnus alle Schlüssel habe. Und alle Zimmer über dieser Etage sind abgeschlossen, die Treppen sind mit einem Seil abgesperrt und alle Türen zu den Korridoren verschlossen – so sagt jedenfalls Bolton; ich habe sie natürlich nicht zu öffnen versucht. Einige Dielen seien verrottet. Alles klingt vollkommen verständlich, und doch ist da dieser kaum spürbare Moment von Unverschämtheit mir gegenüber, als wäre er mein Wärter. Die Zimmer, die Mrs   Bryant bewohnen wird, liegen der Bibliothek direkt gegenüber – ein riesigesSchlafzimmer mit einem eigenen Salon und Esszimmer. Sie sagt, sie fände Ruinen romantisch. Aber was eine Frau, die stets mit ihrem persönlichen Arzt reist, an so einem gottverlassenen Ort verloren hat, liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft.
     
    ∗∗∗
     
    Ich wusste nichts von ihrer Existenz, bis Magnus mich vor einigen Wochen darüber in Kenntnis setzte, dass «Mrs   Diana Bryant, eine Patientin von mir», uns zum Tee zu sich eingeladen habe, in drei Tagen in die Grosvenor Street. Abgesehen von meinen Spaziergängen mit Lucy im Regent’s Park hatte ich seit Beginn der Schwangerschaft kaum das Haus verlassen, und Magnus war allen Einladungen alleine gefolgt: «Ich bin mir sicher, Liebling, dass du es angesichts deiner zarten Gesundheit vorziehst, zu Hause zu bleiben», war sein üblicher, immer gleicher Kommentar.
    «Darf ich fragen, warum du möchtest, dass ich sie kennenlerne?», sagte ich und versuchte, meine Stimme fest klingen zu lassen.
    «Nun, meine Liebe», antwortete er in gespieltem Erstaunen, «sicherlich es ist an der Zeit, dass du dich in Gesellschaft zu begeben beginnst. Mrs   Bryant – sie ist seit drei Jahren verwitwet – ist eine wohlhabende Frau. Sie hat ein Herzleiden; meine Behandlung hat angeschlagen, wo andere nichts auszurichten vermochten, und so wurde sie zu einer Fürsprecherin meiner Behandlungen.» Er redete in demselben höflichen Ton wie sonst, aber ein Glitzern in seinen Augen unterband alle weiteren Fragen.
     
    In dieser Woche war es zum Ersticken heiß gewesen. Lucy sah sich gezwungen, die Fenstersimse mit einer Limetten-Tinktur zu besprengen und die Flügelfenster zum Kinderzimmer mit braunem Papier zu verkleben, um den Gestank von der Straßedraußen zu halten. Die Hitze hielt an bis zum Morgen unseres Besuchs bei Mrs   Bryant, an dem ihr ein Donnerschlag, gefolgt von einem Platzregen, ein Ende setzte. Unter anderen Umständen hätte ich eine Fahrt durch die vom Regen reingewaschenen Straßen genossen, aber als Magnus mit mir in die Kutsche stieg, steigerte sich nur meine dunkle Vorahnung.
    Ich hatte mir Mrs   Bryant als ältliche Witwe vorgestellt, aber sie erwies sich als eine gut aussehende Frau von etwa fünfundvierzig Jahren. Sie war groß, Männer würden sie vermutlich als stattlich beschreiben (womit sie das fest geschnürte Korsett meinen), die Kleidung wohlgewählt und aufwendig, und sie hatte eine Unmenge

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