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Ruf ins Jenseits

Ruf ins Jenseits

Titel: Ruf ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harwood
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diesen Wortwechseln fühlte ich mich gezwungen, die Rolle von Magnus’ Fürsprecherin einzunehmen, und erwiderte jedes Argument mit einer Aufzählung seiner Tugenden und meiner eigenen Verfehlungen. Drei Wochen vor dem vereinbarten Tag erschien er und hatte bereits die Heiratserlaubnis. Die letzten Vorbereitungen nahmen ihren unvermeidlichen Gang.
     
    Nicht, dass es vieler Vorbereitungen bedurfte, denn ich hatte bereits gesagt, dass ich mir eine möglichst einfache Hochzeit wünschte. Hier wie bei allem anderen hielt er sich genau an meinen Wunsch. Die herannahende Zeremonie war ein Zerrbilddessen, was der glücklichste Tag meines Lebens hätte sein sollen. Jegliche Normalität war verschwunden, seit meine Mutter es abgelehnt hatte teilzunehmen, und bis dahin, sich eine Hochzeitsgesellschaft aus vier Menschen vorzustellen, war es kein großer Schritt mehr: Ich wusste nicht, wen ich außer George und Ada hätte einladen wollen, und Magnus’ Freunde schienen in die entlegensten Winkel der Welt verstreut. Ada und George hatten uns natürlich das Pfarrhaus angeboten, aber ich wollte das genauso wenig wie alles andere, was meine Hochzeit mit Edward ausgemacht hätte. Das Glück lag auf dem Kirchhof von St Mary’s begraben. Und angesichts dieser Tatsache schien auch die gröbste Verletzung von Bräuchen nicht im Geringsten von Bedeutung zu sein.
     
    Ada hatte mir einmal vorgeworfen, Edwards Andenken zu verraten. «Wenn ich ihn betrogen habe, ist es geschehen», antwortete ich. «Wenn ich mein Wort zurücknehme, wird das nichts daran ändern.»
    Ich erinnerte mich an diese Worte, als ich am Morgen der Hochzeit an Edwards Grab stand. Ich hatte wahrhaftig nicht das Gefühl, ihm untreu geworden zu sein, so wenig, wie ich diese Hochzeit für mich wünschte. Sie war so sehr – eine moralische Verpflichtung. Ich hatte Magnus mein Wort in einem Moment gegeben, in dem ich mir meiner selbst nicht gewiss war, hatte mir eingeredet, dass ich Wärme und Fröhlichkeit in sein Leben bringen könnte zum Dank für alles, was er für mich getan hatte. Auch wenn ich mich seither wie jemand fühlte, der aus einem Traum erwacht, in dem er den Verzicht auf ein wertvolles Erbe besiegelt hat, und der sich nun in einer Anwaltskanzlei wiederfindet, wo er – die Feder noch in der Hand – die Tinte seiner eigenen Unterschrift trocknen sieht – das Wort, das ich gegeben hatte, war immer noch mein Wort. Er wird nie deinen Platz einnehmen, sagte ich im Stillen zu Edward, niemals. Und dann, beinahe ärgerlich:Wenn du nur mein Reden beherzigt hättest und dich von Wraxford Hall ferngehalten hättest   … Hilf mir, weinte ich, sag mir, was ich tun soll. Aber einmal mehr misslang es mir, ihn mir spürbar zu vergegenwärtigen. Vergib mir, sagte ich laut, als ich die Blumen, die ich gepflückt hatte, auf seinem Grab niederlegte, Vergissmeinnicht, Flieder und Hyazinthen, und mich unter Tränen abwandte.

Vierter Teil
Nell Wraxfords Tagebuch
    Wraxford Hall
Dienstag, den 26.   September 1868
    Es ist schon dunkel – wie spät es ist, weiß ich nicht. Clara schläft ruhig in ihrer Wiege, so ruhig, dass ich manchmal zu ihr gehen muss, um mich zu vergewissern, dass sie noch atmet. Ich bin vollkommen erschöpft, aber ich weiß, dass ich nicht schlafen werde. Im meinem Kopf wimmelt es wie in einem Rattenkäfig, ich kann nicht denken, aber ich muss es, ihretwegen. Ich habe drei Tage, bis Magnus eintrifft: drei Tage, um alles niederzuschreiben, was geschehen ist, und mich auf das vorzubereiten, dessen Eintreten ich fürchte.
     
    Wenigstens habe ich das ideale Versteck für dieses Tagebuch gefunden. In London hatte ich aus Angst, Magnus könne es finden, nicht gewagt, mit dem Schreiben zu beginnen. Wenn er es erfahren sollte – aber dazu später. Ich darf nicht vom Schlimmsten ausgehen, sonst verliere ich jegliche Hoffnung.
    Ich werde mit einer Beschreibung dieses Zimmers, oder eher dieser Zimmer, beginnen. Clara schläft in einer Kammer, einst ein Abstell- oder Vorratsraum, die von diesem abgeht. Wir sind im ersten Stock, etwa auf halber Höhe des Korridors, der so viele Biegungen macht, dass man kaum sagen kann, wo man sich befindet. Ich musste ihn dreimal entlanggehen, um mit Gewissheitsagen zu können, dass vierzehn Zimmer von ihm abgehen. Der Dienstbotenaufgang ist auf der Rückseite des Hauses; die Tür führt zum Hauptteil des Herrenhauses an der Vorderseite.
    Die Vertäfelung wurde blank gescheuert und neue Teppiche verlegt, was beruhigend wäre,

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