Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
Vom Netzwerk:
mir einen Pfirsich, öffnete ihn halb mit den Daumen, schnippte den Kern auf den Schreibtisch, näherte die flaumig errötende Frucht behutsam meinem Schritt und
ließ sie an meinem Schwanz heruntergleiten. Wenn Anchise wüsste, was ich einem der Pfirsiche antat, die er tagtäglich so hingebungsvoll hegte und pflegte, Anchise mit dem
großen Strohhut und den langen, knotigen, schwieligen Fingern, die ständig Unkraut aus der verdorrten Erde zogen! Seine Pfirsiche ähnelten eher Aprikosen, nur waren sie
größer und saftiger. Jetzt bewegte ich mich also ins Reich der Pflanzen. Als nächstes war dann wohl das Mineralreich dran. Ich musste fast lachen bei dem Gedanken. Mein Schwanz war
von dem Pfirsich schon ganz nass. Wenn Oliver jetzt hereinkäme, würde ich ihn lutschen lassen, so wie er es heute früh getan hatte. Wenn Marzia käme, konnte sie mir helfen, mit
der Sache zu Ende zu kommen. Der Pfirsich war weich und fest zugleich, das rote Innere erinnerte an einen Anus, zugleich aber auch an eine Vagina. Ich hielt die beiden Hälften fest an meinen
Schwanz und fing an mich zu reiben, dabei dachte ich an niemanden und an alle, auch an den armen Pfirsich, der keine Ahnung hatte, was ihm geschah, der aber notgedrungen mitmachte und vielleicht
sogar Spaß an der Sache hatte, bis ich ihn sagen hörte Fick mich, Elio, fick mich fester , und gleich darauf: Fester, hab ich gesagt!, während ich in
meinem Gedächtnis nach Bildern aus Ovid suchte – gab es da nicht eine Figur, die sich in einen Pfirsich verwandelt hatte, nein, vielleicht doch nicht, aber ich konnte sie ohne
weiteres erfinden, einen unglücklichen jungen Mann zum Beispiel und ein Mädchen, beide so pfirsichschön, dass sie das Auge einer neidischen Gottheit beleidigt hatten und von ihr in
einen Pfirsichbaum verwandelt wurden. Und denen erst jetzt, nach dreitausend Jahren, wiedergeschenkt wurde, was man ihnen ungerechterweise genommen hatte, und die nun raunten: Ich sterbe, wenn du aufhörst, du darfst nicht aufhören, du darfst nie aufhören. Die Geschichte machte mich so heiß, dass ich kurz vor dem Erguss stand. Ich
konnte jetzt aufhören oder aber mit dem nächsten Stoß kommen, und das tat ich dann auch, mit dem Strahl bedachtsam auf die rötliche Mitte des geöffneten Pfirsichs zielend
wie bei einer rituellen Besamung.
    Ganz schön abgedreht, die Sache. Ich legte mich zurück, den Pfirsich in beiden Händen, froh, dass ich das Laken weder mit Saft noch mit Sperma befleckt hatte. Der zerdrückte,
versehrte Pfirsich lag wie ein Vergewaltigungsopfer auf meinem Schreibtisch, geschändet, loyal, schmerzend und verwirrt, bemüht, nicht zu verschütten, was in ihm war. Wahrscheinlich
hatte ich letzte Nacht, als Oliver das erste Mal in mir gekommen war, nicht viel anders ausgesehen.
    Ich zog mir nur ein Tanktop über und kroch unter die Decke.
    Ich wachte davon auf, dass jemand den Riegel der Fensterläden aufmachte und hinter sich wieder schloss. Wie in meinem Traum kam er auf Zehenspitzen zu mir, nicht weil er mich
überraschen, sondern weil er mich nicht wecken wollte. Ich wusste, dass es Oliver war und streckte ihm, noch mit geschlossenen Augen, meinen Arm entgegen. Er packte und küsste ihn, dann
hob er die Bettdecke und war sichtlich überrascht, dass ich nackt war. Sofort tat er, was er mir morgens versprochen hatte. Der klebrige Geschmack gefiel ihm. Was ich angestellt hätte,
wollte er wissen.
    Ich sagte es ihm und zeigte auf das versehrte Beweisstück auf meinem Schreibtisch.
    »Das muss ich mir ansehen.«
    Er stand auf. Ob ich den Pfirsich für ihn aufgehoben hätte, fragte er.
    Vielleicht. Oder sei mir nur noch nicht eingefallen, wie ich den Pfirsich entsorgen sollte?
    »Ich hab da eine Ahnung, was das ist. Hab ich Recht?«
    Ich nickte in gespielter Scham.
    »Weißt du überhaupt, wie viel Arbeit Anchise sich mit jedem einzelnen dieser Pfirsiche gemacht hat?«
    Es war ein Scherz, aber mir war, als stünde dahinter die Frage nach der Arbeit, die sich meine Eltern mit mir gemacht hatten.
    Er kam mit der Pfirsichhälfte ans Bett und gab sich große Mühe, den Inhalt nicht auszukippen, während er sich auszog.
    »Krank, was?«
    »Nein, bestimmt nicht. Ich wünschte, jeder wäre so krank wie du. Denk einmal an die vielen Menschen, die vor dir da waren – dein Großvater, dein
Urururgroßvater und all die übersprungenen Generationen von Elios vor dir und die von weit her. Die stecken alle in diesem Rinnsal, das dich zu dem macht, der

Weitere Kostenlose Bücher