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Ruf mich bei Deinem Namen

Ruf mich bei Deinem Namen

Titel: Ruf mich bei Deinem Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Aciman
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ausgemacht, als ich …?«
    Ich drehte den Kopf weg, als wollte ich mein Gesicht vor einem kühlen Luftzug schützen, der gerade an meinem Ohr vorbeigestrichen war. »Müssen wir darüber
sprechen?«, fragte ich.
    Das hatte auch Marzia mich gefragt, als ich wissen wollte, ob ihr das, was ich mit ihr gemacht hatte, nicht unangenehm gewesen war.
    »Nur wenn du willst …«
    Ich wusste genau, worüber er sprechen wollte. Über den Augenblick, als ich ihn beinah gebeten hätte aufzuhören.
    Jetzt konnte ich nur daran denken, dass ich heute mit Marzia spazieren gehen und Schmerzen beim Hinsetzen haben würde. An die Schmach, auf den Stadtwällen zu sitzen – wo
sich alle jungen Leute trafen, wenn sie nicht in den Cafés waren –, ständig herumzurutschen und an das erinnert zu werden, was ich in der Nacht getrieben hatte. Ein
Schuljungenwitz. Zu wissen, dass Oliver zusehen und denken würde: Das habe ich mit dir gemacht …
    Ich wünschte, wir hätten nicht miteinander geschlafen. Sein Körper hatte keinen Reiz mehr für mich. Ich guckte ihn an, wie man alte Hemden und Hosen anguckt, die man zur
Abholung durch die Heilsarmee bereitlegt.
    Schulter: Abgehakt.
    Die Stelle in der inneren Armbeuge, die ich früher angebetet hatte: Abgehakt.
    Schritt: Abgehakt.
    Hals: Abgehakt.
    Aprikosenvergleich: Abgehakt.
    Fuß – ja gewiss, dieser Fuß, aber: Ja, abgehakt.
    Das Lächeln bei seiner Frage: Überall? Ja, auch das muss abgehakt werden, nichts darf dem Zufall überlassen werden.
    All diese Stellen hatte ich einmal angehimmelt, hatte mich an ihnen gerieben wie eine Zibetkatze an den Gegenständen, die sie markieren will. Eine Nacht lang waren diese Stellen mein
gewesen. Jetzt wollte ich sie nicht mehr. Ich hätte nicht sagen können, warum ich sie begehrt, warum ich alles getan hatte, um ihnen nahe zu sein. Sobald wir wieder im Haus waren,
würde ich endlich, endlich duschen. Und vergessen. Vergessen.
    Als wir zurückschwammen, fragte er scheinbar gleichgültig: »Wirst du mir die letzte Nacht nachtragen?«
    »Nein.« Das kam zu schnell, um überzeugend zu sein. Um die Doppeldeutigkeit meines Nein abzumildern, sagte ich, dass ich wahrscheinlich den ganzen Tag schlafen würde.
»Mit dem Radfahren wird es heute wohl nichts werden«, ergänzte ich.
    »Weil …« Es war keine Frage, sondern die Antwort.
    »Ja. Weil.«
    Ich hatte den Eindruck, dass ich mich nicht nur deshalb ganz vorsichtig von ihm distanzieren wollte, um ihn nicht zu verletzen oder ihn zu verschrecken oder zu Hause eine peinliche und
schwierige Situation heraufzubeschwören, sondern weil ich ahnte, dass ich ihn nach wenigen Stunden vielleicht doch wieder leidenschaftlich begehren würde.
    Auf unserem Balkon zögerte er einen Augenblick an der Tür, dann kam er mit in mein Zimmer. Damit hatte er mich überrumpelt. »Zieh die Badehose aus.« Eine erstaunliche
Bitte, aber es wäre mir nie eingefallen, mich zu sträuben. Ich streifte die Hose herunter. Erstmals stand ich bei Tageslicht nackt vor ihm. Ich war befangen und wurde allmählich
nervös »Setz dich.« Unvermittelt hatte er meinen Schwanz ganz in den Mund genommen. Ich wurde sofort hart. »Sparen wir’s uns für später auf!« Ein
ironisches Lächeln, und weg war er.
    War das seine Rache, weil ich mir eingebildet hatte, ich könnte ihn so ohne weiteres loswerden?
    Da schmolzen sie hin – meine Selbstsicherheit, meine Checkliste, der Wunsch, mich von ihm zu lösen. Toll gelaufen! Ich trocknete mich ab, zog die Schlafanzughose an, die ich in
der Nacht getragen hatte, warf mich aufs Bett und wachte erst wieder auf, als Mafalda klopfte und fragte, ob ich Eier zum Frühstück wollte.
    Der Mund, der heute früh Eier essen würde, war letzte Nacht überall gewesen.
    Wie nach einer durchzechten Nacht fragte ich mich ständig, wann das flaue Gefühl sich wohl legen würde.
    Immer wieder weckte ein plötzlicher Schmerz Missbehagen und Scham. Wer immer gesagt hat, Körper und Seele träfen sich in der Zirbeldrüse, war ein Trottel. Im Arschloch,
Blödmann!
    Beim Frühstück trug er meine Badehose. Niemand dachte sich etwas dabei, weil man bei uns ständig die Badehosen tauschte, aber er machte es an diesem Vormittag
zum ersten Mal, und es war dieselbe Badehose, die ich heute früh zum Schwimmen angehabt hatte. Dass er etwas trug, was mir gehörte, machte mich unglaublich an. Und das wusste er. Es
machte uns beide an. Die Vorstellung, dass sein Schwanz sich dort, wo meiner gelegen hatte, an dem

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