Ruf mich bei Deinem Namen
hinreißenden Fesseln
sah.
Sie wusste, dass sie mich wieder reingelegt hatte, und prustete los.
Passt du bitte auf meine Handtasche auf? Sie muss gespürt haben, dass ich sonst wahrscheinlich gezahlt hätte und gegangen wäre.
Das ist in aller Kürze das, was ich das San-Clemente-Syndrom nenne.«
Wieder gab es Beifall, zugeneigten Beifall – nicht nur für die Geschichte, sondern auch für den Mann, der sie erzählt hatte.
»Evviva il sindromo di San Clemente« , sagte Straordinario-fantastico .
» Sindromo ist nicht männlich, sondern weiblich«, verbesserte ein Gast, der neben ihr saß.
»Evviva la sindrome di San Clemente« , rief ein anderer Gast, der offenbar das dringende Bedürfnis hatte, irgendetwas in die Gegend zu schreien.
Er war mit einer kleinen Gruppe sehr spät nachgekommen und hatte in guter römischer Mund-art den Restaurantbesitzern Lassatece passà – lass uns durch! – zugerufen, um sein Eintreffen anzukünden. Alle aßen schon längst. Er war an der Ponte Milva falsch abgebogen, dann hatte er das Lokal nicht finden
können und so weiter und so fort, die ersten beiden Gänge hatte er deshalb verpasst. Jetzt saß er mit den anderen, die er aus der Buchhandlung mitgebracht hatte, am Tischende und
bekam den letzten Käse, der im Haus war, für jeden gab es außerdem noch zwei Flans, mehr war nicht da. Das Defizit an Essen machte er mit einem Zuviel an Wein wett. Von der Rede des
Dichters über San Clemente hatte er das meiste mitbekommen.
»Diese Clementisierung ist ja recht und gut«, sagte er, »auch wenn ich keine Ahnung habe, wie Ihre Metapher uns helfen könnte zu erkennen, wer wir sind, was wir wollen,
wohin wir gehen – ebenso wenig wie der Wein das könnte, den wir gerade trinken. Aber wenn die Dichtung uns wie der Wein helfen soll, doppelt zu sehen, schlage ich weitere Toasts
vor, bis wir genug getrunken haben, um die Welt mit vier oder gar mit acht Augen sehen.«
»Evviva!«, rief Amanda dazwischen und prostete dem Nachzügler zu, um ihn zum Schweigen zu bringen.
»Evviva!« Alle tranken.
»Sie sollten schleunigst den nächsten Gedichtband schreiben«, sagte Straordinario-fantastico .
Wir könnten in eine Eisdiele hier in der Nähe weiterziehen, schlug jemand vor. Nein, kein Eis, jetzt ist Kaffee angesagt. Wir zwängten uns in die Autos und fuhren den Lungotevere
entlang in Richtung Pantheon.
Im Auto war ich glücklich. Aber ich musste an die Basilika denken und wie ähnlich sie unserem Abend war, wie eins zum anderen führte und von da zum nächsten, zu etwas ganz
Unvorhergesehenem, und wenn du gerade denkst, der Kreis hätte sich geschlossen, taucht etwas Neues auf und danach wieder etwas, bis du womöglich wieder ganz am Anfang stehst, mitten im
alten Rom. Gestern noch waren wir bei Mondlicht schwimmen gewesen. Jetzt waren wir hier. In wenigen Tagen würde er nicht mehr da sein. Wie schön wäre es, wenn Oliver in genau einem
Jahr wieder hierher kommen könnte. Ich legte meinen Arm um ihn und lehnte mich an Ada. Ich schlief ein.
Weit nach eins kam die Gesellschaft im Caffè Sant’Eustachio an. Wir bestellten Kaffee. Ich glaubte zu verstehen, warum alle auf den Kaffee von Sant’Eustachio schworen, oder
vielleicht wollte ich es auch nur verstehen, denn ich war mir nicht mal sicher, ob er mir schmeckte. Vielleicht ging es den anderen genauso, aber um nicht aus dem Rahmen zu fallen, beteuerten alle,
ohne diesen Kaffee könnten sie nicht leben. Um das berühmte römische Kaffeehaus herum saßen und standen zahlreiche Kaffeetrinker. Ich betrachtete fasziniert die vielen leicht
bekleideten Menschen, denen allen eins gemeinsam war: Die Liebe zur Nacht, die Liebe zur Stadt, die Liebe zu ihren Bewohnern – und die brennende Lust, sich zu paaren, einerlei mit wem.
Die Liebe zu allem, was die kleinen Gruppen, die hier zusammengekommen waren, daran hinderte, sich aufzulösen. Als in unserer Clique die Rede vom Heimfahren war, hieß es: »Nein,
wir können uns noch nicht trennen.« Jemand schlug eine nahegelegene Bar vor. Das beste Bier in ganz Rom. Warum nicht? Wir liefen durch eine lange, schmale Gasse in Richtung Campo
de’ Fiori. Lucia ging zwischen mir und dem Dichter. Oliver, der sich mit zwei der Schwestern unterhielt, war hinter uns. Der Alte hatte sich mit Straordinario-fantastico angefreundet, sie unterhielten sich über San Clemente. »Was für eine Metapher für das Leben«, sagte Straordinario-fantastico . »Aber er sollte das Clementisieren
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