Ruf mich bei Deinem Namen
auch nicht übertreiben, eigentlich war es ja nur eine Redensart«, wandte Falstaff ein, der von dem
Ruhm seines Patensohnes für diese Nacht wohl die Nase voll hatte. Als ich sah, dass Ada allein ging, lief ich zu ihr zurück und nahm sie bei der Hand. Sie war ganz in Weiß, und ihre
gebräunte Haut glänzte, so dass ich am liebsten jede Pore ihres Körpers einzeln berührt hätte. Wir sagten nichts. Ihre High-Heels klackerten auf dem Schieferpflaster. In
der Dunkelheit wirkte sie wie ein Gespenst.
Ich hätte ewig so weiterlaufen können. Die stille, menschenleere Gasse lag in trübem Licht, die alten pockennarbigen Pflastersteine glänzten in der feuchten Luft, als
hätte ein antiker Lastenträger den dickflüssigen Inhalt seiner Amphore darüber ausgeschüttet, ehe er im Untergrund verschwunden war. Alle hatten Rom verlassen, die leere
Stadt, die zu viele und zu vieles gesehen hatte, gehörte jetzt uns allein und dem Dichter, der sie, wenn auch nur für eine Nacht, nach seinem Bild geschaffen hatte. Die Schwüle
würde sich heute nicht mehr legen. Wir hätten, wenn wir gewollt hätten, im Kreis herumlaufen können, niemand hätte es gemerkt, niemand hätte sich daran
gestört.
Während wir durch ein Labyrinth dürftig beleuchteter Straßen schlenderten, überlegte ich, was dieses Gerede von San Clemente mit uns zu tun hatte – wie wir uns
durch die Zeit bewegen, wie die Zeit sich durch uns bewegt, wie wir uns ändern, immer wieder, und uns doch gleich bleiben. Man könnte alt werden und nur dieses eine lernen. Das war wohl
die Lektion des Dichters. Wenn ich in einem Monat wieder nach Rom kam, würde mir diese Nacht hier mit Oliver unwirklich vorkommen, als hätte ein ganz anderes Ich sie erlebt. Und der
Wunsch, der vor drei Jahren hier geboren wurde, als ein Laufbursche mir angeboten hatte, mit mir in ein billiges Kino zu gehen, das berüchtigt war für das, was sich dort abspielte,
würde in drei Monaten ebenso unerfüllt sein wie vor drei Jahren. Er war gekommen. Er war gegangen. Sonst hatte sich nichts geändert. Ich hatte mich nicht geändert. Die Welt
hatte sich nicht geändert. Und doch würde nichts sein wie zuvor. Bleiben würden nur Träume und seltsame Erinnerungen.
Die Bar schloss gerade. »Wir machen um zwei zu.« »Dann reicht es ja noch für einen Drink.« Oliver wollte einen Martini haben, einen Dry Martini. Großartige
Idee, sagte der Dichter. »Ich auch«, meldete sich noch jemand. Die große Jukebox spielte den Sommerhit, den wir den ganzen Juli hindurch in den Ohren gehabt hatten. Als sie
»Martini« hörten, schlossen sich auch der Alte und der Verleger an. » Ehi! Taverniere! «, rief Falstaff. Wir könnten Wein oder Bier
haben, sagte der Kellner, der Barkeeper sei früher gegangen von wegen weil seine Mutter ernstlich geworden sei erkrankt und sie gemusst ins Krankenhaus bringe. Wir verbissen uns das Lachen
über sein Kauderwelsch. Was sie für die Martinis haben wollten, fragte Oliver. Der Kellner schrie die Frage der jungen Frau an der Kasse zu. Sie nannte ihm den Preis. »Wie
wär’s, wenn ich die Drinks mache und Sie uns Ihren Preis nennen von wegen weil wir uns die Drinks selber mixen?«
Kellner und Kassiererin zögerten. Der Besitzer war längst weg. »Warum nicht«, sagte die junge Frau schließlich. »Wenn Sie wissen, wie’s geht, faccia pure, legen Sie los.«
Eine Runde Beifall für Oliver, der sich lässig hinter die Bar verfügte, Eis und einen Schuss Vermouth in den Gin gab und Sekunden später kräftig den Cocktailmixer
schwenkte. Oliven hatte er in dem Mini-Kühlschrank hinter der Bar nicht gefunden, aber nach einigem Suchen förderte die Kassiererin ein Schälchen zutage. »Oliven«, sagte
sie und sah Oliver scharf an, als wollte sie sagen: S ie standen vor deiner Nase, kannst du nicht gucken? Noch was? »Könnte ich Sie vielleicht
überreden, einen Martini von uns anzunehmen?«, fragte er. »Es ist ein verrückter Abend. Verrückter kann er durch einen Drink auch nicht werden. Aber einen
kleinen.«
»Soll ich es Ihnen beibringen?«
Und dann erklärte er ihr ausführlich alle Feinheiten eines straight-up servierten Dry Martini. Er fand es okay, für die Aushilfe an der Bar den
Barkeeper zu machen.
»Wo hast du das gelernt?«, fragte ich.
»Harvard-Vorlesungsverzeichnis Kurs 101: Mixologie. An den Wochenenden habe ich im Studium als Barkeeper gejobbt, danach war ich Koch, dann Caterer. Und immer Pokerspieler.«
Olivers Studienzeit war in
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