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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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Hof: eine Sauna, ein Stall. Der schwarz-weiße Hund an der Kette hieß Drushba. Drushba hieß Freundschaft. Freundschaft bellte. Die Kette rasselte. Baba Nadja schimpfte:
    – Freundschaft, halt’s Maul.
    Im Stall wohnten die Kuh und das Schwein. Die Kuh war braun und hieß Marfa. Das Schwein hieß einfach nur Schwein. So wie Wilhelm einfach nur Wilhelm hieß.
    Vor dem Schwein hatte er Angst. Wenn man es rausließ, raste es über den Hof und quietschte. Auch Freundschaft hatte Angst vor dem Schwein. Vor Freundschaft brauchte man sich indes nicht zu fürchten.
    Stattdessen durfte er mit Freundschaft spazieren gehen. Er durfte überhaupt alles. Er durfte aufs Dach. Er durfte durch riesige Pfützen waten. Nur nicht in den Wald.
    – Keinen Schritt in den Wald, sagte Baba Nadja.
    Denn im Wald verirrte man sich. Und dann fraßen einen die Wölfe.
    – Und dann finden wir nur noch deine Knochen, sagte Baba Nadja
    – Nun hör doch auf, sagte Mama.
    In den Wald durfte er trotzdem nicht.
    – Auch die Mücken können dich auffressen, sagte Mama.
    Aber das glaubte er nicht. Dann schon eher die Wölfe.
     
    Sehr interessant: Wasser aus dem Brunnen holen. Baba Nadja hatte eine Art Bügel, den legte sie sich über die Schultern, links und rechts einen Eimer dran, dann gingen sie los. Der nächste Brunnen war nicht weit. Den Eimer hängte man an einen Haken. Runter ging er von ganz allein. Alexander durfte mit hochkurbeln.
    Einmal die Woche kam Brot. Dann stand eine lange Schlange vor dem Laden. Jeder bekam drei Laib Brot. Auch Alexander. Zu dritt bekamen sie neun. Jedes kostete elf Kopeken. Drei Brote aßen sie selber, sechs kriegte die Kuh. In Wasser eingeweicht. Die Kuh schmatzte. Es schmeckte ihr.
    Elektrischen Strom gab es bei Baba Nadja. Gas gab es nicht. Baba Nadja kochte alles in einer Nische im Ofen. Für Tee wurde der Samowar angeheizt. Es gab schwarzen Tee: früh, mittags, abends. Der Samowar summte. Baba Nadja spielte mit ihm Dummkopf, das Kartenspiel.
    Abends kam Besuch: Pawel Awgustowitsch, mit Krawatte und Anzug. Ein seltsamer Mensch, dünn und altmodisch. Küsste Mama die Hand.
    – Eine Schande ist das, sagte Mama zu Baba Nadja: Pawel Awgustowitsch hat am Konservatorium studiert.
    – Was will man machen, antwortete Baba Nadja. Gott hat es nun mal so bestimmt.
    Anderntags kamen alte Frauen mit Kopftüchern. Sie sangen bis in die Nacht. Zuerst lustige Lieder. Dabei klatschten sie in die Hände, manche tanzten sogar. Dann sangen sie traurige Lieder. Dann weinten sie. Zum Schluss umarmten sich alle und wischten sich die Tränen aus dem Gesicht.
    – Schade, sagte Alexander, dass wir zu Hause nicht auch alle in einem Zimmer wohnen.
     
    Wieder zu Hause. Zweitenfreitag zu Omi, jetzt hatte er was zu erzählen.
    – Wir sind fünf Tage Zug gefahren!
    – Das ist sehr interessant, sagte Omi. Aber willst du das nicht lieber nachher beim Abendbrot erzählen, dann hört Wilhelm es auch. Für Wilhelm ist das auch alles sehr interessant.
    Die Sache war ihm nicht ganz geheuer. Omi ermutigte ihn:
    – Wir machen es so: Ich geb dir ein Stichwort, und dann legst du los.
    Stichwort?
    – Zum Beispiel «Sowjetunion», erklärte Omi. Ich sage, zum Beispiel: Ich würde gern mal Urlaub in der Sowjetunion machen! Das ist für dich das Stichwort.
     
    Wilhelm klatschte sich Butter aufs Brot.
    – Die Indianer, erklärte er, sind heute die Ärmsten der Armen. Unterdrückt, ausgebeutet, ihres Landes beraubt.
    Omi sagte:
    – In der Sowjetunion gibt es keine Ausbeutung und keine Unterdrückung.
    – Das ist klar, sagte Wilhelm.
    Omi schaute Alexander an und sagte noch einmal:
    – In der So-wjet-u-nion gibt es keine Ausbeutung und keine Unterdrückung!
    – Ach ja, sagte Wilhelm, du warst doch gerade in der Sowjetunion. Erzähl doch mal!
    Plötzlich war Alexanders Kopf leer.
    – Na was, sagte Wilhelm, redest du nicht mit einfachen Leuten?
    – Bei Baba Nadja, sagte Alexander, kommt das Wasser aus einem Brunnen.
    Wilhelm räusperte sich.
    – Na schön, sagte er, kann schon sein. Als wir in der Sowjetunion waren, Lotti, weißt du noch, da gab es sogar noch in Moskau Brunnen. In Moskau, stell dir das vor! Und heute? Du warst doch in Moskau, oder?
    Alexander nickte.
    – Na bitte, sagte Wilhelm. Und wenn du groß bist, dann muss man nirgends in der Sowjetunion mehr Wasser aus einem Brunnen holen. Wenn du so groß bist wie dein Vater, dann ist in der Sowjetunion längst der Kommunismus angebrochen – und vielleicht schon überall auf der

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