Ruge Eugen
am Abend die rosa Muschel leuchtete, in die Wilhelm, keiner wusste wie, eine elektrische Glühbirne eingebaut hatte.
Omi-Welt. Hier war alles ein bisschen anders. Und er sprach auch gleich anders, so ein bisschen kompliziert :
– Omi, machen wir heute wieder unser Geheimnis?
– Selbstverständlich, mein Spätzchen.
Zuerst wurde der Tisch gedeckt. Diensteifrig flitzte Alexander zwischen Küche und Salon hin und her, wie die Omi das große Zimmer nannte.
Die Regeln des Tischdeckens (gültig nur für die untere Etage des Hauses): Die Servietten, in silberne Ringe gesteckt, lagen ganz außen. Dann das Messer, dann die Gabel. Und dann das Stullenbrett. Bei Omi wurde nämlich vom Stullenbrett gegessen. Das war sehr praktisch , weil man dann besser die Brotrinde abschneiden konnte. Wilhelm vertrug nämlich keine Brotrinde. Der Löffel wurde oben quer über das Stullenbrett gelegt. Den Löffel brauchte man für Omis berühmte Zitronencreme.
Zitronencreme war Alexanders Lieblingsspeise. Er wusste auch nicht, wie das gekommen war. Eigentlich schmeckte ihm Zitronencreme überhaupt nicht. Trotzdem war es nun mal seine Lieblingsspeise – bei Omi.
Außerdem trank er bei Omi Kamillentee und aß Schmelzkäse und Leberwurst. Auch das gehörte zum Omi-Gefühl. Wie die Härchen im Nacken.
Die Butter war so zu stellen, dass Wilhelm bequem rankam.
Das war’s.
Zwischendurch machten sie ihr Geheimnis.
Ihr Geheimnis bestand darin, dass sie in der Küche Toastbrot aßen. Schnurpsbrot hieß das. Die Sache war die: Wilhelm vertrug kein Schnurpsbrot. Und er vertrug es auch nicht, wenn andere Schnurpsbrot aßen. Er bekam davon Gänsehaut, sagte die Omi. Also mussten sie das Schnurpsbrot heimlich in der Küche essen. Mit Marmelade.
Bis Wilhelm erschien.
– Na, Hombre?
Dabei griff Wilhelm ihm derb ins Gesicht.
Wilhelm hatte zwar einen kleinen Kopf, aber große Hände. Das kam daher, dass Wilhelm früher einmal Arbeiter gewesen war. Heute war Wilhelm was Hohes. Aber die Arbeiterhände hatte er immer noch. Eine davon reichte aus, um Alexanders Gesicht zu bedecken. Alexander würgte, er hatte noch Toastbrot im Mund.
– Na, dann woll’n wir mal sehen, was ihr da angerichtet habt für ein’ Affenfraß, sagte Wilhelm und stolzierte in den Salon.
– Wilhelm scherzt, raunte die Omi Alexander zu.
Dass Wilhelm so komisch war, lag, wie Alexander vermutete, daran, dass er nicht sein richtiger Opa war. Deswegen hieß er auch einfach nur Wilhelm. Wenn man versehentlich «Opa» Wilhelm sagte, dann klappte Wilhelm die Zähne aus. Davor grauste Alexander.
Zum Abendbrot gab es Musik: aus dem Schallplattenspieler. Das war ein dunkler Schrank mit einer halbrunden Klappe, die man nach oben öffnete.
Wilhelm war gegen Musik.
– Du immer mit deinem Zeug, sagte er.
Aber er war der Einzige, der den Schallplattenspieler bedienen konnte. Deswegen bettelte die Omi:
– Wilhelmchen, leg uns doch eine Schallplatte auf, Alexander hört so gern Jorge Negrete.
Schließlich nahm Wilhelm eine Platte aus dem Schrank, ließ sie aus der Hülle gleiten, nahm einen Pinsel und fuhr dann, während er die Platte so in der Hand hielt, dass er nur den Rand und die Mitte berührte, in leicht übertriebenen Kreisbewegungen über die Rillen, wobei er die Platte wieder und wieder gegen das Licht hielt. Dann suchte er eine Weile den Schniepel, der durch das Loch in der Mitte der Platte musste und den man ja, während man über dem Plattenteller hantierte, nicht sah – schwieriger Vorgang. Wenn das gelungen war, stellte Wilhelm die Geschwindigkeit ein, bückte sich, den Hals verdrehend, hinab, sodass Alexander ihm auf seinen glatzigen Kopf gucken konnte, und senkte vorsichtig die Nadel, bis das geheimnisvolle Knistern vernehmbar wurde … Dann kam die Musik.
Goldene Gräte. Alexander stellte sich eine vergoldete Fischgräte vor. Unklar blieb, was das mit der Musik zu tun hatte. Da es bei seinen Eltern keinen Plattenspieler gab, war Goldene Gräte im Grunde die einzige Musik, die er kannte. Die aber dafür gut:
México lindo y querido
si muero lejos de ti
que digan que estoy dormido
y que me traigan aquí
Obwohl er kein Wort verstand: Den Refrain hätte er mitsingen können.
– Weißt du denn, warum die Indianer Indianer heißen, fragte Wilhelm und klatschte sich eine Scheibe Brot aufs Brett.
Alexander wusste, warum die Indianer Indianer hießen, das hatte Wilhelm bereits zweimal erklärt. Gerade deswegen zögerte er.
– Aha, sagte Wilhelm,
Weitere Kostenlose Bücher