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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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Schande, ein Kind von dem Schwarzen, der Schwarze hatte sie immer gesagt, der «Zigan», dabei war er überhaupt kein Zigan, Händler war er gewesen, Petroleum hatten sie bei ihm gekauft, ein guter Mann war’s, Pjotr Ignatjewitsch, kein Trinker, nicht wie die Mushiks in Gríschkin Nagár, ein Herr war’s, beinahe, mit seinem Mantel und seinen Manieren, drei Pferde vor seinem Wagen, so viel gab es im ganzen Dorf nicht, und wenn es auch Sünde gewesen war, und sie bat Gott um Vergebung, aber insgeheim fühlte sie sich unschuldig, denn wäre nicht Mutter Marfa davor gewesen, dann hätten sie sich vor Gott und der Kirche getraut, er hatte es ihr versprochen, auf Ehrenwort.
    – Er wollte mich ja heiraten, sagte Nadjeshda Iwanowna.
    – Wer, fragte Kurt.
    – Na, Pjotr Ignatjewitsch, sagte Nadjeshda Iwanowna.
    – Aha, sagte Kurt, gewiss.
    Aber sie spürte, dass er ihr nicht so recht glaubte.
    – Er hätte mich geheiratet, wiederholte sie, wenn nicht Marfa davor gewesen wäre, und dann sind wir ja weggegangen aus Gríschkin Nagár, später, als Ira schon groß war, nach Slawa.
    – In welchem Jahr war denn das, fragte Kurt.
    – Als die Sowjetischen kamen.
    – Als die Sowjetischen kamen, Nadjeshda Iwanowna, da waren Sie gerade zehn.
    – Nein, nein, korrigierte ihn Nadjeshda Iwanowna, ich weiß es ja noch, das war, als der Vetter die Kühe geschlachtet hat, weil es hieß, wer mehr als drei Kühe hat, wird entkulakisiert, und dann haben sie ihn trotzdem entkulakisiert, weil er die Kühe geschlachtet hat.
    – Sie meinen, sie haben ihn erschossen.
    – Werden ihn wohl erschossen haben, ist lange her.
    – Und da sind Sie nach Slawa.
    – Nu ja, erst wollte Marfa nicht hin, nach Slawa, da war’n ja die Sowjetischen.
    – Aber in Gríschkin Nagár waren doch auch die Sowjetischen, haben Sie gerade erzählt.
    – Ja, aber in Gríschkin Nagár, verstehst du, da war ja nicht viel mit sowjetisch, sechs Häuser, nicht mal ’ne Kirche zum Abreißen. In Slawa reißen sie Kirchen ab, hieß es. Da machen sie elektrischen Strom. Damit wollte sie nix zu tun haben, meine Mutter. Die war ja gegen den Fortschritt. Ich war ja nicht gegen den Fortschritt. Dass sie Kirchen abgerissen haben, das war eine Schande. Aber elektrischer Strom, warum nicht? Und Schule, hieß es, machen sie in der Stadt, da sind wir dann in die Stadt gezogen, hauptsächlich auch wegen Irina.
    – In welche Stadt denn, fragte Kurt.
    – Wie denn, in welche Stadt?
    – Sie sagten, Sie sind in die Stadt gezogen.
    – Ja, das weißt du doch, sagte Nadjeshda Iwanowna.
    – Also meinen Sie Slawa.
    – Ja, klar, Slawa. Wohin denn sonst?
    – Natürlich, sagte Kurt, wohin denn sonst.
    Sie wechselten die Straßenseite. Die Sonne schien durch die schütteren Baumkronen, wärmte durch die Kleidung hindurch, bis in die Knochen. Nadjeshda Iwanowna genoss es, an Kurts Seite zu gehen, so eingehakt, fast schmeichelte es ihr, sogar ihre Füße hatte sie beim vielen Reden vergessen. Vielleicht, dass sie doch noch einmal zur Kirche ging, also zur orthodoxen, ein Stück konnte man mit der Straßenbahn fahren, und eine Kerze stiften für Sascha, auch wenn er nicht daran glaubte, vielleicht half es ja trotzdem, dass er endlich zur Ruhe kam, der Junge, oder sie gab mal was für die Kollekte, wenn’s daran lag, Geld hatte sie schließlich.
     
    Das Haus von Charlotte und Wilhelm war ein schönes Haus. Das kleine Türmchen, das auf der einen Dachseite herausragte, gab ihm sogar etwas von einer Kirche, Mutter Marfa hätte es für eine Kirche gehalten, allerdings hielt sie ja jedes Steinhaus für eine Kirche. Der Eingang lag beinah zu ebener Erde, besonders dieser Umstand kam Nadjeshda Iwanowna herrschaftlich vor, man brauchte nur eine Stufe zu nehmen, dann stand man vor einer doppelt geflügelten Tür aus massivem Holz, mit Schnitzereien sogar und zwei goldenen Fischköpfen.
    Ein junger Mann im Anzug öffnete ihnen, Nadjeshda Iwanowna kannte ihn, sie hatte ihn schon öfter bei Charlotte und Wilhelm gesehen, ein fröhlicher Mensch, der immer lachte und sie überschwänglich begrüßte, Babuschka, Babuschka sagte er, und Nadjeshda Iwanowna sagte: Gott sei mit dir, mein Sohn.
    – Bogh s taboju, synok.
    Zuerst betrat man einen kleinen Vorraum, von hier führte eine Glastür in den geräumigen Flur, es gab sogar eine Nische für die Garderobe, die genau wie die Haustür aussah, aus Holz und geschnitzt, nur dass Wilhelm sie angestrichen hatte, aber geschmackvoll, nicht wie Ira, die die

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