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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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irgendwie wieder in die Wände hineinmusste. Er hatte, auch das war vorgekommen, türenknallend das Haus verlassen, sooft er mitbekam, dass Irina Unsummen ausgab, weil es unbedingt diese Tür, dieses Holz, dieses Rot sein musste, aber am Ende, das musste er zugeben, hatte Irina doch irgendwie recht behalten, auch wenn sie, und das war das Rätselhafte, im Einzelnen immer unrecht gehabt hatte.
    Es war ein herrliches, ein wunderbares Schlafzimmer. Im Grunde ganz schlicht: Nur das Bett stand darin, ein einfaches, ungeteiltes Doppelbett, das es so in der ganzen DDR nicht zu kaufen gab, dazu der alte Schrank, über den Kurt zuerst bloß gelacht hatte. Der Teppichboden war weiß, weiß auch die Wände, nur die Wand an der Stirnseite des Bettes war karminrot, und an dieser Wand hing, flankiert von zwei Leuchten, ein riesiger ovaler, von einem breiten, verschnörkelten Goldrahmen eingefasster Spiegel, dessen übermäßige Neigung keinen Zweifel über seinen Zweck zuließ.
    – Was wohl die Handwerker gedacht haben, murmelte Kurt.
    – Die haben schon das Richtige gedacht, sagte Irina und führte seine Hand unter ihren Rock, wo Kurt zwischen Slip und Strumpf ein Stück nackter, sich zu einem feinen Pölsterchen wölbender Haut erspürte …
    – Verrückt, sagte Kurt, als sie später nebeneinander auf dem Bett lagen. Eben, im Sektrausch, als sie irgendwie übereinander und ineinander gewesen waren, hatte er für Augenblicke das Gefühl gehabt, er würde sich verdoppeln – nicht nur bildlich, sondern tatsächlich . Für Augenblicke, so erklärte er Irina, sei es ihm vorgekommen, als habe er mehr als nur zwei Arme und Beine gehabt und mehr als nur einen «Chui», sagte er – über Anstößiges sprachen sie russisch.
    Und Irina, noch immer in Wallung, umschlang seinen Leib mit den Beinen und flüsterte ihm ins Ohr:
    – Ich glaube, ich sollte meine Freundin Vera mal einladen …
     
    Am nächsten Morgen stand Kurt spät auf: um acht. Es war Sonntag, und Kurt hatte sich – unter Aufbietung seiner ganzen Disziplin – mit den Jahren angewöhnt, am Sonntag nicht zu arbeiten, ja er hatte sogar gelernt, sich auf den arbeitsfreien Sonntag zu freuen.
    In Schlafanzug und Bademantel betrat er die Küche und deklamierte stehend und mit Pathos den Vierzeiler, den er sonntags beim Rasieren zu dichten pflegte, um seine Familie zu erheitern. Der heutige lautete:
    Aus Moskau komm ich angehoppelt
    und fühle meine Kraft verdoppelt.
    Mit Heiterkeit, schon beim Rasieren,
    will ich euch alle infizieren.
    Sascha verzog das Gesicht. Irina lächelte still, während sie Kurt Kamillentee eingoss. Sie bestand darauf, dass er vor dem Kaffee eine Tasse Tee trank, wegen des Magens, und Kurt tat ihr den Gefallen.
    Beim Frühstück eröffnete ihm Irina, dass sie heute noch einmal losmüsse: Gojkovic komme, der jugoslawische Schauspieler, der in dem Indianerfilm, den die DEFA drehen wollte, die Hauptrolle spielte.
    Kurt schluckte. Weißbrotkrümel kratzten in seinem Hals. Seit Irina – er wusste im Grunde gar nicht als was – bei der DEFA arbeitete, kam es öfter vor, dass sie ihn in dieser Weise enttäuschte. Angeblich war es eine Halbtagsstelle, aber in Wirklichkeit arbeitete sie oft bis in die Nacht oder am Wochenende, und alles für nichts, denn am Ende verpulverte sie bei alldem mehr Geld, als sie verdiente, dachte Kurt. Sagte aber nichts. Nahm einen Schluck Kaffee, spülte die Weißbrotkrümel runter. Ja, natürlich hatte auch Irina ein Recht zu arbeiten. Wenngleich es eine höchst seltsame Arbeit war, mit irgendwelchen Schauspielern im Gästehaus der DEFA zu sitzen und Wodka zu saufen. Oder mit diesem Indianer durch die Gegend zu fahren. Kurt hatte ein Foto gesehen: Muskelprotz. Ließ sich mit nacktem Oberkörper fotografieren, unglaublich.
    – Das Mittagessen steht auf Herd, sagte Irina. Und um vier bin ich zu Hause.
    Nachdem Irina gefahren war, ging Kurt, noch immer in Bademantel und Schlafanzug, in sein Zimmer. Er drehte die Heizung auf, setzte sich auf den Heizkörper. Betrachtete, während er die zunehmende Hitze am Hintern spürte (ja, auch die Gasheizung war eine gute Idee gewesen!), die schwedische Importbücherwand, die Irina ihm vermittels irgendwelcher undurchsichtigen (hoffentlich nicht kriminellen!) Transaktionen beschafft hatte. Fünf Jahre lang hatte er seine Bücher in Kisten von Zimmer zu Zimmer geschleppt. Jetzt standen sie da in vollkommener Ordnung, ein Anblick, der Kurt immer aufs Neue befriedigte – nur warum er den

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