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Ruge Eugen

Ruge Eugen

Titel: Ruge Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: In Zeiten des abnehmenden Lichts
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sich noch einmal im Raum um, als könnte er jemand übersehen haben, und begann mit gesenkter Stimme und unter Kopfwackeln und Augenverdrehen den Grund seines Erscheinens zu erläutern. Die Angelegenheit war ebenso einfach wie dumm. Paul Rohde, ein immer schon etwas übermütiger und nicht immer disziplinierter Mitarbeiter aus Kurts Arbeitsgruppe, hatte in der ZfG das Buch eines westdeutschen Kollegen besprochen, in dem die sogenannte Einheitsfrontpolitik der KPD Ende der zwanziger Jahre kritisch beleuchtet wurde (welche, wie jedem klar war, in Wirklichkeit natürlich eine Spalterpolitik gewesen war, die die Sozialdemokratie verunglimpft und das Erstarken des Faschismus auf schlimmste Weise befördert hatte!), und dann hatte Rohde dem westdeutschen Kollegen persönlich seine Rezension geschickt, versehen mit der Bemerkung, er möge entschuldigen, dass sie so negativ sei, die gesamte Arbeitsgruppe finde das Buch klug und interessant, aber in der DDR sei es leider noch längst nicht so weit, dass das Thema Einheitsfrontpolitik offen diskutiert werden könne …
    Etwas Derartiges an einen westdeutschen Kollegen zu schreiben war natürlich unglaublich dumm, aber … irgendetwas kapierte Kurt nicht. Mit wachsendem Unbehagen hörte er sich an, wie Günther vom Fortgang der Sache berichtete, welcher, kurz gesagt, darin bestand, dass die Abteilung Wissenschaft des Zentralkomitees der SED eine harte Bestrafung des Genossen Rohde forderte, welche morgen, am Montag, auf der Parteiversammlung beschlossen werden sollte, und bei dieser Gelegenheit – du weißt ja, wie’s ist – wurden von Rohdes Kollegen, besonders aber von den Kollegen der Arbeitsgruppe, und ganz besonders von Kurt, dem Leiter der Arbeitsgruppe, «spontane» Stellungnahmen erwartet, und darüber, erklärte Günther, habe er Kurt vorab informieren wollen, ganz im Vertrauen, versteht sich …
    – Und woher, entschuldige, kennst du eigentlich den Inhalt des Briefes?
    Günther schien ihn nicht zu verstehen.
    – Na, vom ZK, sagte er.
    – Und das ZK?
    Günther verdrehte die Augen, hob seine dicken Arme und sagte dann:
    – Tja.
     
    Nachdem Günther gegangen war, zog Kurt seine Arbeitsklamotten an und ging in den Garten. Das Wetter war gut, und gutes Wetter musste man irgendwie nutzen. Er holte die Harke heraus, aber es war kaum Laub da, also überlegte er, ob er irgendetwas beschneiden könnte. Aber er war sich nicht sicher, die Knospen kamen bereits, womöglich war es zu spät zum Beschneiden. Und obwohl er den Gedanken ans Beschneiden schon wieder aufgegeben hatte, suchte er noch eine Weile die Gartenschere, ohne sie allerdings zu finden. Stattdessen fand er ein paar Tulpenzwiebeln und beschloss, sie einzupflanzen. Eine Zeitlang ging er im Garten herum und schaute nach einem geeigneten Platz, konnte sich aber für keinen entscheiden. Sein Magen meldete sich: ein Grummeln, das Kurt für Hunger zu halten beschloss. Er brachte die Tulpenzwiebeln wieder in den Schuppen.
    Als er das Haus betrat, drang aus Saschas Zimmer laute Musik: Beatmusik, die er neuerdings hörte. Kurt klopfte an, trat ein. Sascha drehte die Musik ein wenig leiser. Er saß am Schreibtisch, das Tonbandgerät stand direkt vor ihm, das Lehrbuch daran gelehnt, er war gerade dabei, irgendetwas in ein Schulheft zu schreiben.
    – Du kannst bei dem Lärm keine Hausaufgaben machen, sagte Kurt.
    – Is bloß Bio, teilte Sascha mit, während er mit einem kleinen silbernen Kreuz spielte, das er an einem Kettchen um den Hals trug.
    – Nanu, sagte Kurt, bist du jetzt christlich?
    – Nee, belehrte ihn Sascha. Ist ein Gammlerkreuz.
    Gammler. Das Wort kannte Kurt aus dem Fernsehen – aus dem Westfernsehen. Dort war neuerdings öfter von Gammlern die Rede: langhaarigen Gestalten, die Kurt irgendwie mit dieser neuen Musik in Verbindung brachte und die, so viel war klar, Arbeit grundsätzlich ablehnten.
    – So, sagte Kurt. Willst du mal Gammler werden.
    Sascha grinste.
    Kurt drehte sich um, war schon dabei, das Zimmer zu verlassen, blieb aber noch einmal stehen.
    – Mein Leben lang, sagte er, versuche ich dich zum Arbeiten zu erziehen. Und du …
    Und auf einmal hörte er sich schreien:
    – Du wirst Gammler! Mein Sohn wird Gammler!
    Er riss das Tonbandgerät an sich, das mit einem kläglichen Rülpser verstummte, und marschierte los. Erst als er in seinem Zimmer ankam, bemerkte er, dass er das Kabel abgerissen hatte.
    Noch während er duschte – er war zwar nicht dreckig geworden, aber nach

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