Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Rittmeister waren heut alle Menschengesichter zuwider, was mehr Rechenmenschen, aus deren Gesichtern Zahlen springen. Zahlen erinnern an Schulden. Hrrr Manteuffel, der ihn eintreten gesehen, obgleich er der Thür den Rücken zuwandte, blinzte den alten Asten an. Der aber machte eine Bewegung mit der Hand, die unter Geschäftsleuten ausdrücken kann: den hab ich sicher, oder: um die Bagatelle kümmere ich mich nicht.
Herr Josty hatte noch ein kleines dunkles Hinterstübchen. Vertrautere Freunde fanden hier einen Platz, um einen Sorgenbecher in der Stille zu leeren, den der Konditor seinen anderen Gästen nicht vorsetze; er war kein Weinschenk. Es war in dem Raume wirklich klein und dunkel wie in einer Tonne, recht zur Selbstbeschauung geschaffen, denn durch die vergitterten Fensterspalten drang nur bei Mittag ein Dämmerschein, der sich von den hohen Hintergebäuden in den feuchten Winkel, der Hof hieß, hinabließ. Das eigentliche Licht kam von einer dünnen Sparlampe in einer Mauerblende, um den Tisch, die Bank, die Wandspinden spärlich anzuleuchten. Ein Ort, geschaffen, um das innere Licht leuchten zu lassen.
»Einen Rothspohn, Herr Josty!« rief der Rittmeister, als er sich zwischen Bank und Tisch geklemmt.
»Pontac oder Medoc?«
Auch darüber noch nachdenken! Was hatte nicht der Rittmeister zu denken! »I nu Medoc,« sagte er nach einer Weile, den Kopf in der Hand und den Ellenbogen auf dem Tische.
»Ist auch gesunder für's Blut, klärt mehr die Gedanken auf. Die Engländer nennen ihn darum Claret,« sagte Herr Josty, als er den langen Pfropfen aus der Flasche gezogen.
Als der Wirth die kleine Thür leise hinter sich zugedrückt, störte nichts die drei – nenn' ich sie Geschöpfe, Wesen, Mächte – die hier zurückgeblieben zu stillem Verkehr: den Rittmeister, die Lampe und den Medoc. Es war mehr als still, ich würde sagen bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand jedesmal unruhig geworden, sobald der Rittmeister das Glas aus der Flasche wieder vollschenkte. Ob er Gedanken schöpfte, ob er sie verschluckte? Der Medoc musste das Blut nicht gereinigt haben, denn er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand spiegelte drei Positionen, in denen er Minuten lang verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in beiden Händen, und dann den Leib ganz zurückgelehnt, mit gesunkenen Armen, oder, wenn ein Entschluß zu kommen schien, sie plötzlich auf der Brust verschränkend. Aber die Flasche war schon zu drei Vierteln ausgeleert und der Entschluß noch nicht gekommen.
Ein Entschluß kostet Jedem etwas, wer aber weiß, wie der beste gefasste zum übeln ausschlagen kann, und wer nur die Erfahrung des Rittmeisters gewusst, der würde ihn um seine Unentschlossenheit nicht getadelt haben. Hatte er sich nicht zu einem kühnen Schritt entschlossen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß frei zu werden? Es war kein geringes für Jemand, der von zwei unsichtbaren Schutzengeln hin und her gezogen wird, und in sich keinen Oberen findet. Wenn diese ihm zuraunten: sie hat dich eigentlich nie geliebt, sie hat nur gespielt mit dir; nun auch dieses Spielens überdrüssig, lässt sie es nur zu ihrem Amüsement, dich zu foppen, vor Andern durch ihr Kammermädchen fortsetzen, so sprach eine innere Stimme: das erste hast du ja selbst immer geglaubt. Aber dann, wenn jene ihn auf die vielen Beweise von Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit hingewiesen! Stand die Moosrose nicht noch immer zwischen den Balsaminen, trug sie nicht noch immer das Halstuch von der Farbe, die sie angelegt, als sie sein Lob vernommen? Möglich war es ja, daß sie anfänglich nur ihn necken, ihre Empfindlichkeit für das an ihm kühlen wollen, was er sich selbst jetzt vorwarf; möglich, daß auch Andere da mitgearbeitet hatten. Aber – das konnte sich geändert, sie so gut gesehen haben, als er es sah, daß er sich auch geändert, dies konnte ganz andere Empfindungen in ihr geweckt haben. Er hatte ja auch Augen, und was er gesehen, ließ er sich nicht abstreiten. Diese Verwandlung ihres Sinnes konnte nun Denen nicht mehr zu Sinn sein, die anfänglich mitgespielt. Sie waren es, die jetzt die Contreminen legten, die ihn wieder ihr entfremdeten, ihn von ihr trennen wollten. Daher diese Briefe in ganz verändertem Tone, diese Mahnungen, Drohungen sogar, abzulassen von Verfolgungen, die eine edle Frau tief kränken müssten.
Der Rittmeister Stier von Dohleneck hatte das Schwert gezogen um den Knoten zu durchhauen, er wollte Licht haben – Wahrheit. Er
Weitere Kostenlose Bücher