Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
an mir bemerken.«
»Sie sahen schon Geister!« – rief die Fürstin auf, und ihr Auge glänzte ihn an. »Ja, Sie Unbeweglicher, es zuckte etwas um Ihr Auge, was ich noch nicht kenne. Sie haben Geister der Todten gesehen, und vor ihnen gezittert. Sie zittern jetzt –«
»Vor dem Zugwind,« sprach er, sich in den Mantel hüllend. – »Nun, und wenn ich sie sah, meine Gnädigste, so lernte ich ihnen ins Gesicht sehen, wie ein Mann den erschaffenen Dingen muß, und sie hielten meinen Blick nicht aus, so wenig, als der festeste Stoff meine Säuren und den Aether, in dem ich ihn verbrenne. Wenn sie weinten, lachte ich sie an, wenn sie klagten, drohte ich – sie hielten's nicht aus, ich blieb Sieger und sie sind verschwunden. Meine Gnädige, vor dem Willen verflüchtigt sich der Diamant; wenn die Dinge, die wir Wesen nennen, uns nicht widerstehen, warum die wesenlosen?«
»Kommen Sie«, sagte die Fürstin. »Der Küster gab uns das Zeichen.«
Vielleicht sah sie den Küster nicht, aber sie sah Geister. Der Mond warf, zwischen den Wolken vortretend, ein Streiflicht auf die Stirn ihres Begleiters, sie konnte den Anblick heut nicht ertragen. Was musste er sie noch bitten, sich nicht zu beeilen: der Mann, der ihnen für ein ansehnliches Geschenk einen Platz unter dem Siegel der Verschwiegenheit versprochen, werde noch vielen Andern dasselbe Siegel aufgedrückt haben: »Und mancher wird die Komödie für acht Groschen sehen.«
Sie waren an die kleine Thür gelangt, welche eine unsichtbare Hand vorsichtig öffnete, um sie einzulassen. »Sie nicht!« rief sie, als er sie hinein führen wollte. »Sie gehören nicht hier hinein.«
»Es ist ja nur eine protestantische Kirche,« flüsterte er ihr ins Ohr. Sie streckte die Hand abwehrend gegen ihn: »Doch – Sie stören mich. – Folgen Sie mir nicht, ich verbiete es Ihnen, Herr von Wandel. Wer nur eine Komödie sehen will, gehört hier nicht hinein.«
»So werde ich Erlaucht wieder an der Thür erwarten.«
»Reisen Sie nach Berlin.«
»Sie können doch nicht allein zurück. Wer weiß ob die Scene Sie nicht afficirt. Soll ich Ihren Jäger mit der Kammerfrau herbestellen?«
Sie schüttelte den Kopf: »Es giebt Momente, wo man das Bedürfniß fühlt allein zu sein.«
Der Legationsrath schien die Frage auch an sich zu stellen, als er draußen mit gekreuzten Armen eine Weile stehen blieb, die Augen in das zerrissene Gewölk gerichtet. Er hatte sich oft Mühe gegeben, unverwandten Blickes in die Sonne zu sehen, jetzt verdroß es ihn, daß er nicht mal ohne Augenblinken den Mondenstrahl ertragen konnte, so oft er plötzlich aus den Wolken trat, die an ihm vorüber rollten: »Seltsam, es liegt nur in den Augennerven, in der schwachen Wurzelkonstruktion der Wimpern. Wenn man sie von Draht machen könnte, müsste man auch dem glühenden Feuerball ins Gesicht sehen. Und diese Frau« – ein heiseres Gelächter machte sich Luft – »sie spielt mit ihren Illusionen wie der Taschenspieler mit seinen Karten und doch – in der unbewachten Stunde zittert sie als Sklavin vor dem selbst beschworenen Gespenst! Vielleicht des Weibes Natur, sie kann nicht immer wachen. Aber der Mann –?« Die Thurmuhr präludirte und die Glocken huben ihr: Ueb' immer Treu und Redlichkeit! an. »O süßer Leierkasten, der durch die Welt geht, und das Spiel mit den Narren und Phantasten um so vieles erleichtert!« sprach er, sich langsam fortbewegend. Er lächelte, als aus der Kirche die Orgel mit leisen Schlägen einen alten Choral anhub.
Der Orgelspieler war nicht sichtbar, auch die Fackeln, von denen vorhin Erwähnung geschah, brannten nicht offiziell, man suchte sie hinter den Pfeilern zu verbergen, gleich wie die Zuschauer, in Mänteln und unscheinbaren Pelzen verhüllt, ein doppeltes Inkognito zu bewahren suchten. Unter den Mänteln war mancher Stern verborgen, manches Herz pochte hörbar, und das Auge, auf dem Du sonst nur Flattersinn und eitle Lust spielen sahst, durchzuckte hier ein banger Ernst. Die Orgeltöne schienen in der dunkeln Kirche mehr die Stille symbolisch anzudeuten, als daß sie dieselbe unterbrachen. Es war lautlos, ein verhaltener Athem.
So war es möglich, daß man jetzt ein Geräusch zu hören glaubte, das man sonst nicht gehört hätte. Es war nicht sein Geist, der durch die Räume schritt, in denen er nie geweilt, sonst würden sie nicht die Köpfe vorgestreckt, nicht sich gebückt und die Hände ans Ohr gelegt haben, um besser zu horchen. »Sie weint,« flüstert eine Stimme
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