Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
war.«
»Und wo ist die Regel,« fragte Walter, »nämlich im Deutschen Volke? Ich setze voraus, daß wir Landsleute sind.«
Der Fremde fixirte zum ersten Mal unsern Bekannten; es war ein scharfer, prüfender Blick, aber ohne Härte. Die Antwort schien ihm nicht zu mißbehagen. »Das macht die Sache nicht besser hier,« sagte er. »Die Müller von Sanssouei haben in Preußen keinen Fortgang gehabt.«
»Die Größe des Einen hat sie niedergedrückt. Das vergisst man so leicht im Auslande.«
»Man wundert sich nur, warum sie nicht wieder aufgetaucht sind, nachdem sie von der Größe nicht mehr zu leiden hatten. Sie wiederholten vorhin die Worte des großen Königs, als Sie sich allein glaubten, warum machen Sie ein
point d'honneur
draus, was Sie sich selbst bekennen, vor Andern zu verbergen! Wo Sie Ihrer Schwäche sich bewusst sind, warum es nicht auch vor Andern gestehen. Das würde Vertrauen wecken. Wenn Sie sich den andern Deutschen gegenüber immer in Parade aufs hohe Pferd setzen, so verlangen Sie nicht die brüderlichen Neigungen, um die es doch Einigen, den Bessern unter Ihnen wenigstens, zu thun ist. Wir sind Alle schwach, aber wenn wir es uns gegenseitig eingeständen, würden wir auch die Mittel finden, um wieder stark zu werden. Das ist's was Sie vom übrigen Deutschland trennt, meine Herren Preußen. Uebrigens bin ich jetzt selbst Einer.«
»Jetzt wird sich's zeigen!« rief Walter animirt.
»Was?«
»Daß wir eine Schwäche zu bekennen den Muth haben, eine Schuld gegen unsere deutschen Brüder durch die That auszulöschen. Preußen radirt den Baseler Frieden mit seinem Blute aus den Tafeln der Geschichte.«
Die rauhe, heftige, fast dominirende Art, mit der der Fremde seine Aussprüche that, erweckten in Walter die Lust es in selber Art ihm wieder zu geben: »Ich hoffe, daß die kurze Zeit, seit Sie ein Preuße wurden, dem Ausländer nicht so viel Einblicke in unsre Angelegenheiten gegönnt hat, daß ich Ihren Ausspruch als ein Verdikt nehmen müsste.«
Der Andre war vielleicht betroffen, aber nicht erzürnt, vielmehr verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln: »Haben Sie Einblicke?«
»Keine als die Jedem frei stehen, der ein Herz und Augen hat für die Ehre seines Vaterlandes. Sie ist so auffällig verletzt, daß sie eben so auffällig Genugthuung heischt; der Hohn, den man uns zugefügt hat, den Napoleons Generale noch täglich in Anspach und Baireuth Preußen zufügen, könnte einen Stein ins Leben rufen. Das und noch vieles Andre, was hier nicht hergehört, ist mir Bürgschaft, daß endlich der stahlgeborne Entschluß ins Leben springt.«
Der Andere ging eine Weile schweigend, dann sagte er ruhig: »Einen Gesandten wird man an Napoleon schicken, ihm Friedensbedingungen stellen und unterhandeln. Wenn Sie wissen was Unterhandlungen sind, wo preußische Diplomaten mitsprechen, so stellen Sie danach Ihre Hoffnungen.«
»Diesmal, nur diesmal nicht« – rief Walter in Eifer gebracht – »es geht nicht, es lässt sich nicht mehr zurückdrängen. Das Volk leidet es nicht.«
»Das Volk, mein Herr! Das weiß ich nicht; ich kenne es wenigstens noch nicht genug, und was ich von ihm kenne, doch – das gehört nicht hierher.«
Sie standen an einem Scheidewege. Der Fremde wenigstens nahm an, daß sie hier scheiden müssten, oder er wollte hier scheiden. Es waren seine Abschiedsworte:
»Dies Volk, mein Herr, mag gut sein, tapfer, treu, aber es ist noch zu klein für seine Traditionen. Es hat sich übernommen, und es ist nie gut, wenn man sich den Magen auch mit dem Besten füllt, wenn der Magen nicht Kraft hat es zu verdauen. Dies Volk ist zu Vielem gut, es hat auch gesunde Glieder, wenn nur der Kopf da ist, der sie regiert. Das aber bilden Sie sich nicht ein, daß diese Glieder schon reif sind für sich selbst zu stehen. Dafür vergaß der große Mann zu sorgen. Er führte sein Volk in die Weltgeschichte ein, und übersah, ihm die Erziehung zu geben, daß es mit Ehren darin bestände. Mit der militärischen Tournure ist's nicht gethan; der Knebelbart imponirt nur auf den ersten Anblick, und selbst ist allein der Mann. Er war müde über ein Volk von Sklaven zu herrschen, ja, aber sie sind es geblieben, weil er ein Lehrmeister war, wie der Gelehrte in einer Bauernschule. Glänzende Schulaktus hat er mit ihnen aufgeführt, und sie deklamiren lassen, was sie nicht verstanden. Friede seiner Asche und Fluch dem, wer einen Stein auf sein Grab wirft, denn Deutschland hat keinen Größern geboren, aber
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