Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
beachtet, später aber von so unheilvollem Einfluß ward, noch heute dauernd, aber noch heute zweifelhaft, ob von schlimmerem auf die Völker oder die Fürsten, indem er ihr Thema, die Erblichkeit der Rechte, auf keinen festern Grund zu bauen wusste als auf die Erbsünde der Menschen!
Die Fürstin hatte erreicht was sie vorhin wollte, sie hatte die Baronin zum Schweigen gebracht; aber die stumme Sprache der Seufzer ward ihr noch peinlicher als die vehementen Liebesklagen, von denen sie sich debarrassirt. Sie drückte sanft die Hand ihrer Begleiterin, sie bedauerte, wenn ihre Phantasien einen zu tiefen Eindruck auf ihr Gemüth gemacht, auch sei der Krieg ja noch nicht bestimmt erklärt, und wenn er ausbreche, wache ein Auge dort oben über Alle, und wisse die Schuldigen von den Unschuldigen zu unterscheiden. »Nur die Schuldigen trifft sein Zorn! Er richtet nicht wie ein menschlicher Richter, der nur auf die offenkundigen Thaten sieht, er prüft die Nieren und sieht das Herz. Mancher, der uns als großer Sünder erscheint, geht vor ihm frei aus, weil sein Herz rein geblieben, nur die Gewalt der Umstände ihn zur That trieb. Dagegen wie Mancher, der nichts gethan, was die Sinne fassen, ist schon verdammt, weil er in der Stille seinen sündhaften Regungen nachging, weil er in Gedanken gegen Gottes Gesetze sündigte. Wie leicht lullen wir uns in süße Verstellung ein, es sei nicht schlimm was wir denken; wir lügen uns edle Absichten vor, oder glauben, es sind ja nur Phantasieen, und wenn es zur Ausführung kommt, so würden wir stark sein und ihnen widerstehen. Ach, meine Liebe, wir sind nicht stark, und Gedankensünden sind oft die schwersten, die wir begehen können.«
Die Fürstin musste heute selbst so von ihren eigenen Gedanken bedrängt und verwirrt sein, daß ihre diplomatische Kunst sie in dem, was sie laut sprach, zu verlassen schien. Sie hatte nichts von dem neuen peinlichen Eindruck gemerkt, den diese Tröstung auf die Baronin hervorgebracht, die plötzlich sich auf den Boden des Wagens niedersenkte, und die Knie der Fürstin umfasste: »Ach, ich verstehe Sie,« schluchzte die schöne Frau, »aber – ich konnte nicht anders«
»Meine Liebe, Gute, beruhigen Sie sich,« sprach die Fürstin, die eine neue Spezialbeichte fürchtete, und nichts weniger als Lust hatte, den Beichtvater abzugeben. »In solchen großen Weltkatastrophen hat das Ange droben weniger Acht – ich wollte sagen, es sieht milde und gnädig auf die kleinen Vergehungen herab.«
»Ja, ich liebe ihn,« rief die Baronin »und ich bin ja eine verheirathete Frau.« Also das war es. Mild lächelnd blickte die Fürstin auf die Sünderin herab, und fuhr mit den weichen Fingern über ihre Stirn: »Erinnern Sie sich, wie der verlorene Sohn aufgenommen ward!«
»Ich kann ihn doch jetzt nicht verlassen – wenn ich jetzt zurückkehre, raube ich ihm seinen Glauben –«
»An Ihre Liebe. Das ist sehr wahr. Der verlorene Sohn kehrt auch nicht auf den ersten Anfall von Reue zurück. Würde er so im Hause des Vaters empfangen sein? Er mußte eine furchtbare Schule der Sünde durchmachen, um der Gnade werth zu sein. Wäre er in sich gegangen nach einer leichten Verirrung, und hätte er sich etwa nach einem Trinkgelag, einem Verlust im Spiel, einer wüsten Nacht, reuig dem Vater zu Füßen geworfen, es wäre gewiß sehr hübsch und moralisch, aber der Vater, wenn er ein vernünftiger Mann war, hätte ihn aufgehoben und auf die Schulter geklopft und gesprochen: Nun das freut mich, daß Du es selbst einsiehst, künftig wirst Du Dich davor hüten, aber nun mache kein Aufheben davon, daß Du nicht ins Gerede kommst; sei ganz wie vorher, ich werde gegen Dich auch wie immer sein. O meine Freundin, wo blieb da die Seligkeit, die den Sohn, den Vater, das ganze Haus, die Nachbarschaft erfüllte, jene Seligkeit, um die es sich lohnt gelebt, so viel Qualen ausgestanden zu haben! Wie er dalag auf der Schwelle, zerknirscht, gebrochen an Leib und Seele, und nun zuckte das Gnadenwort des Vaters wie ein Sonnenstrahl nach langen grauen Tagen, der Himmel that sich auf in seiner Herrlichkeit, als die Arme des Vaters sich öffneten ihn zu umschließen. Er ward ein neuer Mensch, er gesundete an Leib und Seele, alle Welt wusste es, alle Welt freute sich mit ihm, und das große Geheimniß der Liebe ward Himmel und Erde offenkundig.«
Es klang wunderschön, die Baronin wusste aber doch nicht, was sie damit machen sollte: »Wenn ich nur wüsste –«
»Weiß Ihr lieber Mann
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