Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
in Stücke sprangen. Der Kutscher hatte nicht schnell genug einem hinter ihm in Sturmeseile heranpreschenden Sechsspänner ausweichen können. Das Hinterrad des Wagens war vom Vorderrade des nach ihm kommenden erfasst worden, das Terrain war abschüssig und der Wagen der Fürstin, weiter in die Richtung rollend, gestürzt. Wenigstens ein Rad gebrochen.
Aus der Kutsche des Sechsspänners ertönte ein donnerndes: Halt! Ein Kavalier sprang noch im Fahren heraus, und ehe die Lakaien sich von ihren Sitzen gearbeitet. »Es ist Frauengeschrei!« sagte ein heransprengender Reiter, der zum Wagen gehörte. »Um so unverzeihlicher!« rief der Kavalier, und schien zu fordern, daß auch der Begleiter vom Pferde springe, während er selbst, der erste, sich an der umgestürzten Kutsche beschäftigte den obern Schlag zu öffnen.
»Sie sind doch nicht verwundet?« rief die Eitelbach zur Fürstin, die unter ihr lag. »Ich glaube nicht. Man öffnet. Machen Sie Luft.«
Die Eitelbach war rasch zur Hand. Sie erfasste eine andere Hand, welche sich ihr aus dem geöffneten Schlage entgegenstreckte. Als sie sich aufgeschwungen, umfasste sie der kräftige Arm des Kavaliers und hob und senkte sie mit einem glücklichen Schwunge auf die Erde. Im nächsten Moment übte der Begleiter, der rasch aus dem Sattel geglitten, denselben Ritterdienst an der Fürstin. Der Zobelpelz, den sie der empfindlichen Morgenkühle willen nicht zurücklassen wollte, machte einige Schwierigkeit. Der Retter und die Gerettete mussten sich übrigens kennen. Als sie aber den andern Kavalier sah, ließ sie den Pelz plötzlich zu Boden sinken, und blieb in respektvoller Entfernung, mit auf der Brust gekreuzten Armen am Wagen stehen.
Der Kavalier sprach zur Baronin, die ihren Schreck abschüttelte: »Ich hoffe doch, daß die schöne Frau sich keinen Schaden gethan.«
»Danke für gütige Nachfrage, Ihro kaiserliche Majestät, ich denke, es ist Alles noch gut abgelaufen,« erwiderte sie mit einem Knix, der die Fürstin erröthen machte. Sie sah aber nicht, daß die Baronin dabei auch auf ihre Falbala's sah, die beim Herausheben zerrissen waren.
Der Kavalier ließ den wohlgefälligen Blick, mit dem er die Gestalt der schönen Frau maß, jetzt auf ihre Begleiterin gleiten: »Ei sieh da, Prinzessin, das Morgenlicht täuscht. Hoffentlich auch mit dem Schreck davon gekommen, liebe Gargazin.« Er reichte ihr die Hand, die sie ehrerbietig an die Lippen brachte: »Sire, ein kleiner Unfall verschafft uns oft ein großes Glück.«
»Aber die Damen können doch unmöglich in der Kälte hier stehen,« rief der Kavalier sich umsehend. »Wäre in meinem Wagen – aber es muß sogleich Rath geschafft werden.«
»Eure Majestät,« sagte die Fürstin, »der Unfall wird leicht zu redressiren sein. Hier ist Hülfe zur Hand.«
»Wir sind bei Stimmingens,« rief die Baronin, auf das Gehöft zeigend, das in der Morgendämmerung gegen den dampfenden weiten Seespiegel auftauchte. »Da sind wir gut aufgehoben. Wer bis Stimmingen kam, ist zufrieden.«
Der Kavalier lächelte. Wenn ein großer Mann Zufriedenheit um sich erblickt, ist er selbst zufrieden. Aus der Wirtschaft waren in der That schon rüstige Arme herbeigeeilt, um die gestürzte Kutsche beschäftigt. Ein ältlicher Begleiter, in einen dicken Pelz verhüllt, der sich aus dem Wagen gearbeitet, machte, mit einer Bewegung der Hand gegen die Uhrtasche, eine bedeutungsvolle Verbeugung.
»Meine Damen,« sprach der Kaiser, »ich bedaure, daß die Stunde, die zur traurigen Staatspflicht ruft, mich zwingt, die angenehmere in Ihrer Gesellschaft abzukürzen. Ich hoffe, daß Ihr Wagen bald wieder hergestellt ist, um das Vergnügen zu haben Sie in Berlin wieder zu sehen.« Die huldreichste Verneigung schloß mit einem Kopfnicken gegen die Fürstin: »Adieu, Gargazin, erkälten Sie sich nicht.« Noch einmal sah der Erlauchte vor dem Einsteigen sich um, und sein Blick galt der Baronin.
»Glückselige Frau!« sagte die Fürstin zur Eitelbach, während sie Beide am hohen Rand des See's auf und ab gingen, die Fürstin wieder in ihrem Zobel, den der Adjutant ihr aufgehoben. Sie zogen den Aufenthalt im Freien der überheizten Wirthsstube und der Gesellschaft darin vor, Beide vielleicht von einem inneren Feuer erwärmt, während der Novemberwind empfindlich kalt von Spandau her über die weite Fläche des Sees blies.
»Warum glückselig jetzt?«
»In Rußland würde diese Frage eine Blasphemie sein. Die Schönheit, auf der das Auge der Majestät
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