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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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nicht gerechnet. Da glaubten wir, mit jahrelangen Mühen, mit gesparter Kraft die Hindernisse beseitigt, wir eilten schon mit offenen Armen dem Ziele entgegen, und plötzlich straucheln wir – Gott weiß woran, wir wissen es selbst nicht, an einem Ball, den eine Kinderhand uns zwischen die Füße warf, am Reflex einer Scheibe, und wir glauben eine Mauer, einen Abgrund vor uns zu sehen. Wir müssen über uns lachen, wir ärgern, wir schämen uns, daß es so sein konnte, aber es ist so, und wir sind vom Ziele ab, wir müssen von neuem anfangen. Die Menschen nennen es Zufall. Nein, meine Freundin, es ist der ewige Dämon, der uns von der Wiege an belauscht bis ans Grab, um, wenn wir schwach werden, uns zu fassen. Dagegen können wir auch nichts, gar nichts. Es ist vielleicht vermessen, ihm absolut widerstehen zu wollen, denn mit unsrer Kraft ist's nicht gethan. Besser geschehen lassen was wir nicht ändern, und dann desto herzlicher bitten, daß der rechte Helfer bald erscheint, der uns wieder aufhebt.«
    Die Baronin hatte in ihrer Gemüthsbewegung nur etwas von dem Monologe aufgefasst, und es war das, was zu dieser passte. »Lachen Sie mich aus, aber ich kann nicht dafür. Ich habe auch zum lieben Gott gebetet, daß er mir einen Freund schicken möchte, der mir hilft.«
    »Sie haben doch so viele, meine Beste!«
    »Nein, keinen wo ich Rath holen wollte. Da –«
    »Erschien er plötzlich, wo Sie ihn nicht vermuthet.«

    »Wenn ich die Augen schließe, und lange da sitze, sehe ich ihn deutlich vor mir, als wenn er leibte und lebte, nein noch deutlicher. Ich zähle die Knöpfe an seiner Uniform. Ich sehe ihn, wenn er den Fidibus anzündet, wenn er sich aufs Sopha wirft, das Bein auf den Stuhl legt, wenn er gähnt und seufzt und mit der Hand übers Gesicht fährt.«
    »Das sind ja interessante Visionen! Aber erlauben Sie mir es zu sagen, diese Wahrnehmungen können doch zuweilen sehr unangenehm werden, wenn eine zarte Frau in die Gar
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onwohnung einer Kaserne blickt, und alles das sieht. Es soll da nicht sehr sauber hergehen.«
    »Sein Herz ist rein, seine Seele ein Spiegel. Ich kann ohne Erröthen hinein blicken. Was kümmern mich die Aeußerlichkeiten! Er hat in seiner Kaserne keine weibliche Pflege. Da hängt manches am unrechten Ort und geschieht nicht wie es sollte. Er fühlt es wohl, kann sich aber nicht klar darüber machen. Er fühlt, er muß sich herausreißen, weil er sonst unterginge.«
    »Das wissen Sie alles?« rief die Fürstin über die neue Clairvoyance verwundert. Es ging ihr wie der Lupinus: die Eigenschaft, die sie für sich liebte, ward ihr bei Andern unbequem.
    »Ich weiß noch mehr. Ja, er ist – er hat Vertrauen zu mir – er hat wie ich das Bedürfniß gefühlt, das unselige Mißverständniß aufzuklären, er hatte einen männlichen Entschluß gefasst; mit einem Wort, theuerste Freundin, er wollte an jenem Nachmittage zu mir, weil er es nicht länger in der Ungewissheit aushalten konnte, und da –«
    »Kam etwas dazwischen; jetzt verstehe ich Sie! Aber dann lässt sich ja der Schade leicht wieder gut machen.«
    »Sieht er mir denn ins Herz?« rief die Baronin.
    »Man kann ihn langsam sondiren –«
    »Langsam! Und es geht los! Er muß mit!« Sie sah die Fürstin mit stieren Augen an, und jetzt brach das lang Verhaltene unwiderstehlich heraus: »Langsam! und Sie waren zugegen, wo sie den Krieg beschlossen. Weiß ich, ob er noch in Berlin ist, wenn wir ankommen? Es sind Couriere mit neuen Marschordres schon diese Nacht abgegangen. Und er geht ohne zu wissen, was mich quält. Nein, er geht mit dem Gedanken, daß ich ihn verspottet. Die erste Kugel kann ihn treffen, und, und – in das Jenseits ist er, und weiß nicht –«
    »Daß Sie ihn lieben! – Meine theuerste Baronin, wenn wir das nur geahnt hätten! Man hielt es für eine flüchtige Passion. Wie hier die Welt ist!«
    Die Fürstin wusste in dem Augenblick nichts Passenderes zu thun, als daß sie die Baronin an die Brust schloß. Die Baronin interessirte sie sehr wenig, ihr Liebesschmerz noch weniger, am wenigsten aber der Rittmeister. Durch das improvisirte Embrassement verbarg sie außerdem die Thräne des Mitgefühls, die in ihrem Auge nicht da war, und ersparte sich eine Antwort, die ihr in dem Augenblick nicht konvenirte. Sie saßen eine Weile in schweigender Rührung. Bei der Baronin bedurfte es nur des Antippens mit dem Finger, und ihre Bekenntnisse, lange noch nicht erschöpft, brachen von neuem heraus. Dies besorgte die Fürstin,

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