Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
aufrecht saß, in einem Starrkrampf gewesen. Andere vermutheten noch Anderes, und Iffland flüsterte zu Bethmann: »Ich besorge, daß man uns auf unserem Grund und Boden eine Komödie aufgeführt hat, während wir hier dem Publikum einen Ernst vorspielen wollten.«
»Sie lebt!« sagte der Arzt, welcher für Adelheid herbeigerufen war und noch immer ihren Puls hielt. »Ihr Leiden scheint mir nur psychisch; eine Folge von zu lange verhaltenen Gemüthserschütterungen. Nach dem Zwange rächt sich die Natur. Die äußerste Ruhe thut ihr zunächst noth. Auf die Bretter aber, dünkt mich, gehört die Kranke nicht.«
Damit war vor Allen Herr Iffland einverstanden. Er hatte bereits eine Portechaise kommen lassen. Zwei Soldaten, noch in Wallensteinschen Waffenröcken, versprachen rüstige Träger zu sein.
»Aber wohin?« fragte der Direktor, nachdem Adelheid unter Beihülfe des Arztes und der Fürstin in die Portechaise gehoben war.
»Gleichviel! In das erste befreundete Haus,« sagte der Arzt.
»Das ist mein Hotel.« Die Fürstin gab, nachdem sie einen schnellen Blick nach der Geheimräthin geworfen, die nöthigen Anweisungen: »Leise aufgetreten, keine Erschütterung. Für einen guten Lohn verpflichte ich meinen Kammerdiener.«
Die Lupinus sah weder den Blick, noch die Abführung der Portechaise. Eine Reihe riesiger Pappenheimer hatte eine Wand dazwischen gebildet. Aber auch ohne diese Kürassiere würde sie in dem eifrigen Gespräche mit dem Legationsrath schwerlich gesehen haben. Er hatte sie schon vorhin fast mit unziemlicher Heftigkeit bei der Hand ergriffen und in die Coulissen gezogen.
»Ich verstehe Sie nicht. Sie selbst drangen daranf, daß ich kündigen sollte.«
»Und heut bietet Moldenhauer fünf Procent, wenn Sie die Kündigung zurücknehmen. Schlagen Sie ein! wiederhole ich. Jede Hypothek 20,000 Thaler! Bedenken Sie! Einen so unerwarteten Gewinn! Sie wären rasend, ihn von der Hand zu weisen.«
»Aber wenn die Kapitale selbst darüber verloren gehen! Noch gestern schrieben Sie mir: Kündigen Sie.«
»Noch vor einer Stunde hätte ich's gethan.«
»Und jetzt, – wo Preußen losschlagen muß –«
»Es schlägt nicht los.«
»Napoleon vernichtet ist –«
»Er ist nicht vernichtet.«
»Trägt ein Ariel Ihnen Botschaften durch die Luft?«
»Ja, in Gestalt einer Taube, der zu Herrn von Marvilliers auf Laforests Hinterdach niederflog.«
»Die Schlacht –«
»Ist geliefert,« flüsterte er näher an sie tretend ihr ins Ohr. »Das Blut floß in Strömen. Die Russen total geschlagen, Oestreich verloren, dem Sieger auf Gnade und Ungnade überliefert –«
»Entsetzlich! Wo? – Wie?«
»Wenn man den Namen in dem rasch gekritzelten Zettel richtig liest, heißt es Austerlitz, wo Europas Schicksal entschieden ward. Die Schlußfolge überlaß ich Ihnen.«
»Und diese Menschen in ihrem Siegesrausch!«
»Was gehen diese Menschen Sie an! Denken Sie an sich, und ergreifen, was der Moment bietet. Es wäre möglich, daß Moldenhauer schon morgen Mittag den wahren Verlauf erfährt. Deshalb beschied ich ihn auf morgen früh zu Ihnen. Ein Notar ist avertirt, daß wir ihn auf der Stelle rufen. Moldenhauer wird Sie als Engel segnen, denn er hält sich als Kaufmann ruinirt, wenn Sie auf die Kündigung bestehen. Sie zaudern natürlich etwas, bis –«
»Und wenn wir uns doch verrechneten!«
»Das Einmaleins ist nicht unerschütterlicher als der moralische Egoismus der Staatskunst. Stürzt sich das Lamm in den Rachen des Löwen, der vom Blute der Hunde träuft? –«
»Aber –«
»Wird, kann, darf Preußen jetzt losgehen? Das frage ich Sie, und es bedarf nicht Ihres Scharfblicks, um ein entschiedenes Nein zu antworten. Selbst wenn diese Mannequins nicht am Ruder säßen, ein entschlossener, zornsprühender König auf dem Throne – jetzt wäre es Thorheit – Thorheit ist Alles – aber es wäre mehr als das – Verbrechen, Wahnsinn – es ist eine Unmöglichkeit.«
»Es wird dunkel!« rief die Geheimräthin; man fing an die Lampen auszulöschen. – »Mein Gott, wo ist Adelheid?«
Der Wachtmeister aus »Wallensteins Lager« war ihr entgegen getreten:
»Beruhigen Sie sich, Madame. Die Demoiselle ist in sicherer Obhut fortgebracht, die Frau Fürstin Gargazin –«
»Hat sie Ihnen am Ende entführt,« lachte Wandel.
Ein Kammerdiener der Fürstin stand in der Coulisse, um der Geheimräthin die Thatsache, nur mit andern, schöneren Worten zu melden, und, wenn sie es für nöthig fände, die Kranke zu
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