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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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entzündet, dessen blaue Flammen spärlich durch das Halbdunkel der verlöschenden Oellampen in die Höhe leckten, ist nie ermittelt.
    Der Anblick war überraschend, das erste Schweigen des Publikums verrieth, daß es den Sinn und Zusammenhang nicht begriff. Es wusste nicht, ob es noch jubeln dürfe, oder trauern solle? Eigentlich wusste es Niemand; was seit letzt geschehen, ging über alles Arrangement hinaus, bis die Gefühle der Einzelnen, wie kleine Blutadern in einem großen erstarrten Körper pulsirten. Die Theilnahme war verschieden. Eine Stimme rief aus der Mitte heraus:
»Ah c'est pittoresque! C'est vraiment antique et classique!«
»Aber er stirbt ja wirklich!« schrieen Andere.
    Der Classicismus musste in dieser Versammlung noch eingewurzelt sein, denn es fand sich Jemand, der seine Zuhörer an das erhabene Beispiel aus dem Alterthum erinnerte, wo der Bote einer Siegesnachricht im Augenblick, wo er sie überbrachte, aus Erschöpfung zu den Füßen seiner Mutter todt niederstürzte, und die Mutter ward um deshalb als die glücklichste Frau im ganzen Hellas gepriesen.
    Herr Herklotz, der Theaterdichter, man vermuthet, daß er es gewesen, hatte mit Iffland einige Worte geflüstert, und dieser, heute in andauernder Aufregung, hatte schon den breitkrämpigen Hut gezogen, und war an die Lampen getreten zu einer neuen patriotischen Ansprache, muthmaßlich aus jener Vergleichung geschöpft, als Major Eisenhauch ihn sanft am Arme fasste: »Um Gottes Willen, Herr Direktor, bedenken Sie, da ist der Vater des Sterbenden.«
    Der Geheimrath Bovillard, in einem Gespräch mit St. Real begriffen, hatte erst spät seinen Sohn erkannt.
»Mais enfin, grand Dieu, c'est donc mon fils!«
rief er händeringend zu Denen, die ihn abhalten wollten, sich auf die Bühne zu stürzen, und arbeitete sich durch das Gedränge.
    »Mais, mon cher conseiller,«
rief der Geheimrath Lupinus, der, seinen Arm unterfassend, ihm nacheilte,
»il ne mourra pas. Nous admirons ce ravissement d'amour paternel suprême. Oh! c'est touchant. Mais
considérez, mon ami, votre état est surtout votre caractère. Vous êtes philosophe! – Et il ne mourra pas, assurément, ce n'est qu'un échauffement passager. Ce jeune homme, un épanchement patriotique, l'amour paternel le guérira!«
    Es arbeitete sich noch Jemand während dessen durch das Gedränge, doch mit einem andern Ungestüm. Auch nach ihm streckten sich unwillkürlich Arme aus, als wollten sie ihn zurückhalten. Weshalb Walter van Asten plötzlich dem Offizier, dem er noch eben die Zähne zu weisen so große Lust gezeigt, den Rücken gekehrt, weshalb er seine Cousine, zu deren Schutz er aus sich selbst herausgeschritten schien, stehen ließ, weshalb er unbekümmert um Beide ins dichteste Gewühl sich gestürzt, daß er im nächsten Augenblick ihnen allen entschwunden war, das wussten Die freilich am wenigsten, welche sich am lautesten darüber verwunderten. Ein Hohngelächter der Offiziere brach plötzlich aus. Der Oberst drückte verächtlich den Hut auf die Locken: »Ist's ein solcher, so lassen Sie den Patron nur laufen.«
    »Er hat vielleicht Jemand gesehen, der seiner Hülfe noch mehr bedarf,« antwortete Professor Catel auf Minchen Schlarbaums erstaunten Blick, und bot ihr rasch seinen Arm, während die Offiziere zu einer Art Kriegsrath zusammengetreten waren. »Redestehen!« – »Nimmermehr.« – »Die Peitsche dem Poltron!«
    Der Geheimrath Bovillard hatte sich über seinen kranken Sohn werfen wollen, aber vernünftige Freunde ihn zurückgehalten, weil es sich mit seiner Würde nicht vertrage, weil das vor dem Theater-Publikum eine Scene aufführen hieße, weil sein Sohn in keiner Lebensgefahr sei, weil jeder Affekt die Lage desselben verschlimmern könne. Der Geheimrath Bovillard war den vernünftigen Vorstellungen zugänglich, und für den öffentlichen Anstand hatte er immer das feinste Gefühl.
    Um so besser, als man seinen Sohn bereits auf demselben Ruhebett, auf welchem bei der Darstellung des »Puls« der kranke junge Graf lag, fortgetragen hatte. Dabei musste sich noch einiges ereignet haben, was die Umstehenden beschäftigte. Man hatte seine Hand aus der des jungen Mädchens losreißen müssen, so fest hielt er sie gefasst. Sie war darauf – von der Anstrengung und dem physischen Schmerz, sagten die Verständigen, zu Boden gesunken. Ob in einer Ohnmacht oder einem Starrkrampf, darüber stritt man; die zum letzteren hinneigten, behaupteten, sie sei schon vorhin, als sie noch

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