Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
übersehen haben, die sich in unsern Sitten zutrugen. Ja, ja, in unsern Sitten! Sehen Sie denn nicht ein, daß und wie sich alles geändert hat. Ein junger tugendhafter König ist unser Staatsoberhaupt, eine ebenso tugendhafte und sittsame junge Königin an seiner Seite. Ihr Haushalt ist ein wahres Exempel von Moralität, von wirklich rührender Häuslichkeit. Fühlen Sie denn nicht, wie dies Beispiel schon auf das Publikum einwirkt? Anfangs war man etwas frappirt, man verstand es nicht, daß es dauern könne, man sah mehr darin ein idyllisches Schauspiel. Manche fürchteten sogar, daß die Königliche Autorität verlieren würde, ohne Gold und Silberapparat. Aber es war anders. Wird dieser König weniger geliebt, als der höchstselige? Ja, ich wage zu behaupten, der große Friedrich ward nicht so venerirt. Wenn dieser jugendliche Monarch mit zwei Rappen, die schöne Königin an seiner Seite, durch die Linden kutschirt, wie schlagen alle Herzen! Hören Sie die Bemerkungen der Leute. Das sind Symptome, mein Lieber, auf die man achten muß. Bemerken Sie denn nicht, wie die Dinge in Berlin schon jetzt ein anderes Ansehen gewinnen? Man muß sich fügen, mein Lieber, man muß mit dem Strome schwimmen, man muß sich kleiden wie die Andern, wenn uns auch die Mode nicht gefällt.
Ou voulez-vous être un original, qui ne se désoriginalisera jamais?
Glauben Sie mir, es gefällt Manchem am Hofe nicht, ich muß manche Klage hören, aber man fügt sich. Manche Liaisons sind stadtkundig, wer hatte bisher Arges daran, aber – man genirt sich jetzt, man fährt nicht mehr zusammen in den Thiergarten. Ich könnte Ihnen – aber
n'en parlons pas à propos –
man sagt mir, Sie besuchen noch immer das Haus der Schubitz.«
Der Nichtwirkliche blickte ihn verwundert an.
»Mein hochverehrtester Gönner, auch das« – Offenbar wollte er, was man nennt mit etwas herausplatzen, vielleicht aus der Defensive in die Offensive übergehen, aber rasch sich besinnend, fuhr er in dem vorigen süß flötenden Tone fort:
»Wenn ich sagen dürfte, wie anständig es dort hergeht! Ich kann betheuern, daß alles Unmoralische davon entfernt ist. In den untern Zimmern versammelt sich abendlich, gelegentlich eine Gesellschaft von frohen Menschen. Man trinkt Thee, man lässt sich eine Bowle brauen; in heitern Gesprächen vergehen die Stunden. Wie mancher Geschäftsmann, erdrückt von der Last des Tages, der keine Familie hat, oder in ihrem Kreise nicht das rechte Soulagement findet, sucht die Zerstreuung, die nothwendige Erholung, um sich wieder zu erfrischen für die Sorgen und die Arbeit des nächsten Tages. Der Staat fordert von uns ungeheure Opfer, er muß uns doch auch etwas Erholung gönnen. Einige machen auch ein Spielchen, die Räume sind so gemüthlich und hell. Muß man denn immer Arges denken! Diese leichten anmuthigen Kinder der Natur – ich will im entferntesten nicht für ihre
vertu
sonst einstehen – aber in diesen Reunions, wenn doch auch nur einmal etwas Unsittliches vorgefallen wäre! Hüpfende Gazellen, Hebes mit der rauchenden Schaale, mischen sie sich in das Gespräch, man hält sie fest, wenn sie entschlüpfen wollen, man richtet Fragen an sie, und freut sich ihrer schalkhaften Antworten. Sie wissen oft den Nagel auf den Kopf zu treffen. Ich will auch nicht dafür einstehen, daß man nicht einmal, überrascht von einer naiven Antwort, den losen Schalk auf den Schooß zieht, und ihn dafür mit einem Kuß auf die Lippen belohnt oder bestraft. Aber, wie gesagt,
il n'y a rien là d'immoral, Monsieur le conseiller!
Man findet immer achtungswerthe Gesellschaft, die höchstachtungswertheste zuweilen. – Herr Geheimrath würden erstaunen, wenn Sie hörten, welche Equipagen vor dem Hause halten – oft die ganze Behrenstraße hinauf bis zur Friedrichsstraße. Man trifft sich auch mit den Künstlern, den Genies unserer Stadt. Wie oft hat Herr Friedrich Gentz seine brillantesten Gedanken in diesen Kreisen zuerst
saillant
ausgespritzt. Da ist der berühmte Bildhauer, das Genie, – wie heißt er doch gleich – der macht Studien zum Basrelief für das neue Schauspielhaus. Der tiefsinnige Herr Adam Müller,
ce génie mystique,
las den Damen aus seinen Schriften vor,
s'il m'est permis de m'exprimer ainsi, pour les convertir.
Reine psychologische Studien! Der Herr Hofrath Hirt versichert, bei den Bewegungen der einen Nymphe würde er doch immer erinnert an ein pompejanisches Wandgemälde, was der Lichtenau so gefallen hatte, er hat es im
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