Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
große Mann im Sterben lag, durchschauerte es auch wohl die guten Bürger, daß so ein großer Mann wie der kleinste unter ihnen von dieser Welt scheiden müsse. Aber an seine großen Schlachten und, was noch größer, seine Thaten für den Staat, und daß er die Seele dieses Staates gewesen, und ob eine andre Seele und welche in diesen verlassenen Körper fahren werde, daran dachten sie nicht. Den guten Bürgern fiel es überhaupt nicht ein, daß der Staat ein Leib sei, der eine Seele braucht. Sie dachten vielmehr – ganz still – wenn der Alte todt ist, hören die Kaffeeriecher auf, und vielleicht auch die Tabaksregie. Unter diesen Gefühlen der guten Bürger, die man später die Gutgesinnten nannte, entschlief der größte Mann seines Jahrhunderts. Wenn er's gewusst, vielleicht hätte sein letzter Seufzer geklungen: das hatte ich nicht verdient! Und darum jubelten die guten Bürger dem neuen, gütigen Könige entgegen, der auch wirklich die Kaffeeriecher fortjagte, aber später und sehr bald ward er kein guter König. – Er starb in seinem Marmorpalais am heiligen See, einsamer als der große Friedrich in Sanssouci. Die Kluft war noch tiefer geworden zwischen dem Könige und dem Volke.
Und nun hatte man wirklich einen guten König. Durch viele Jahre war er derselbe geblieben; es war Friede im Lande, keine Kaffeeriecher, den Tabak kaufte man zu müßigen Preisen, die Geisterbanner und Frömmler waren fortgeschickt, Handel und Gewerbe blühten, die Soldaten waren zwar noch Soldaten, aber man konnte sich ja vor ihnen hüten, und der König und die schöne Königin fuhren so bürgerlich geschmückt, so herzlich und zutraulich durchs Volk. Keine Läufer, selten ein Vorreiter, oft in einer einfachen zweispännigen Kutsche. Das Volk fing an, diese Annäherung zu verstehen und zu würdigen, und – es liebte seinen König.
Darum war bald der dritte August, des Königs Geburtstag, ein Feiertag geworden. Sie gingen vors Thor, in die Schenkgärten, sie strömten aufs Land, in die Dörfer, die glücklichen Familien, welche die Sorgen abwerfen konnten, um einen sorgenfreien Tag unter Gottes freiem Himmel zu feiern.
Auf dem Hochplateau, südlich von Berlin, lag damals ein ländliches Dorf mit hohen schönen, dicht umwipfelten Bäumen, mit moosbewachsenen Schilfdächern und einer alten gothischen Kirche von Granitquadern. Nur eine halbe Meile von der Stadt, versank doch das Dorf fast unter den hohen Kornfeldern, wo die Aehre im Lehmboden üppig wucherte. Von all dem ist nur die Kirche von Granit geblieben, einst eine Besitzung der Tempelherrn, von denen das Dorf den Namen trägt. Diese sind vor alten Zeiten schon von der märkischen, und von der Erde überhaupt verschwunden, und das Feuer, das ihre Edelsten verschlang, hat auch allmälig die schönen Linden und Ulmen der Dorfstraße versengt und die Schilfdächer der Häuser verzehrt.
Heut sieht das Dorf aus wie eine mit Bäumen untersprengte Stadt. Aber auf den üppigen Rasen, unter den prachtvollen Baumreihen war zu unsrer Zeit noch ein Spielplatz für ländliche Lust, wie man ihn nur wünschen mochte. Wo konnte man freiere Luft athmen, wo, hingestreckt im Grün, dem Spiel des Laubes, dem Gesang der Vögel ungestörter lauschen! Wo wölbte sich ein prächtigeres Dach von Aesten, um den Mittagstisch darunter aufzuschlagen! Noch prangten die Dörfer um die Stadt nicht mit blauen und goldenen Wirthshausschildern, noch lauerten die Kellner nicht am Eingang der Gitter mit der Speisekarte. Die Schenke war eine Trinkstube und Kegelbahn, weiter nichts, die Familien kehrten bei den Bauern ein, die sie vom Markte kannten. Und noch strömte nicht Alles hinaus, was an Sonn- und Feiertagen die Werkstätte schließt, um das Geräusch der Straßen draußen durch neuen Lärm in ersetzen und den Staub, den sie hinter sich gelassen, durch wilde Spiele wieder aufzuwühlen.
Es war eine Pilgerfahrt der Familien. Sie brachten eine sonntägliche Stimmung mit. Man hatte sie lang' vorher besprochen. Man freute sich, einmal unter Gottes freiem Himmel einen Tag zu feiern. Wie Wenige waren gereist und hatten schönere Gegenden gesehen, und wie Viele hatten die Dichter gelesen und konnten auswendig ihre Lieder zum Preise der schönen Natur. Auch wer das Theater besuchte, was damals in den gebildeten Mittelständen viel häufiger geschah als jetzt, hörte und sah, wenn er es glauben wollte, daß die Menschen in den Dörfern andere und bessere wären, als die in der Stadt, weil sie Gott und seiner
Weitere Kostenlose Bücher