Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
die Volkserhebungen, die man versucht hat da und dort, um den Erzherzog zu soulagiren, kläglich fielen sie aus, und wenn man Frieden schloß, wie ließ man sie im Stich, die armen Schelme! Was heute Tugend heißt und Patriotismus, die Diplomatie stempelt's morgen zum Verbrechen und Hochverrath, wenn's ihr so bequemer ist. Was willst Du da vom armen Volk erwarten? Sie äffen den Fürsten nach, und sie thun Recht. Wer etwas für sich schaffen kann, zugegriffen, so lange es Zeit ist! Die alten Bande sind gelöst. Es giebt kein Recht, kein Gesetz, kein Vaterland mehr. Hasche den Sonnenblick, genieße den Augenblick, Du weißt nicht, was morgen kommt. Schöne Mädchen und Cyperwein, Walter, so lange es schmeckt. Preußen hat Recht, wir waren im Unrecht; es hat den größten Bissen erschnappt. Presse Hannover aus, Du weißt nicht, ob es Dir nicht schon morgen wieder entrissen ist. Schöne Mädchen und Cyperwein! nur nichts von Vaterland, Menschenglück. Phantasmagorien, nichts als Mondscheinillusionen. Im Ernst, Walter! Sieh mich nicht so an. Die alte Zeit ist abgelaufen, aller Widerstand ist Thorheit – der neue Titane zerschlägt dem alten Sonnengott den Karren, die Splitter und Funken fliegen durchs Weltall. Ducke Dich in eine Höhle, wenn Du eine findest, und wenn Du lebendig bleibst, gaffe ihm nach, wohin er seinen Feuerball peitscht. Ich weiß es nicht.«
»Und doch,« sprach Walter, ihm nachblickend, als er ohne Abschiedsgruß nach der Stadt gegangen, »doch würdest Du der Erste sein, wenn –« Er folgte ihm.
Seltsam, als Walter in das Haus des Geheimraths Lupinus trat, sollte er eine Unterhaltung überstehen, die denselben Gegenstand hatte. Er fand den gealterten Mann kränkelnd. Er hustete viel. Walter meinte, das Zimmer sei wohl lange nicht gelüftet, der Bücherstaub habe etwas Drückendes.
Der Geheimrath hörte ihn mit Freundlichkeit an.
»Gewöhnen wir uns doch daran, das Leben als eine Gewohnheit zu betrachten, dann fällt so vieles fort, was uns sonst quält und ängstet. Ist nicht Der am glücklichsten, der nichts in seiner Lebensweise ändert? Wer immer ändert, stellt damit nur ein Testimonium aus, daß er nie zufrieden war. Ich weiß es, ich werde sterben, vielleicht bald, aber Sie werden noch lange leben. Nun lassen Sie uns von Ihnen reden. Da ist Herr Niebuhr nun angekommen. Er wird bestimmt angestellt, und wahrscheinlich in einigen Wochen schon ist er Bankdirektor mit dem Titel Geheimer Seehandlungsrath. Er hat Ihre Abhandlung über Alba Longa mit Vergnügen gelesen. Er wird ein Mann von Einfluß werden. Jetzt kann ich Sie noch empfehlen, vielleicht bald nicht mehr. Sagen Sie mir Ihre Wünsche, lieber Walter.«
Auf Walters Gesicht stand die Antwort. Es war ein Thema, was sie oft besprochen. Mit einem vielsagenden Blick fasste der Kranke die Hand des Gesunden: »Unser Staat ist kränker, als ich bin. Die Republik liegt in den letzten Zügen, die Scipionen schlummern in ihrer Gruft, die Virtus neben ihnen, unser Aktium und Philippi steht vor den Thoren, die Catonen mögen den Giftbecher leeren, es bricht zusammen, Herr van Asten, ich weiß es auch, und der Cäsar scheint auch schon da, der uns nur nicht behagt. Was bleibt da dem Freien? – Das Exempel, das ihm ein alter Freigelassener ließ.«
Der Geheimrath hatte sich mit Mühe vom Stuhl erhoben, und war, auf einen Stock gestützt, an seine heiligste Bücherwand geschlichen. Einen Walter wohlbekannten dünnen Band, unscheinbar in altem Leder, nahm er heraus. Es war eine Ausgabe des Horaz, an die er keine fremde Hand ließ; er zeigte das Buch nur seinen Freunden.
»Wenn's Ihnen schlimm ums Herz wird, hier ist der Trost. Zweifeln Sie, daß Horaz ein guter Patriot gewesen? Ging ihm das Schicksal des Römischen Staates nicht aus Herz? Ich sage Ihnen, es schnitt ihm hinein, tiefer, als die Herren Ausleger denken; der Schnitt steht nur zwischen den Versen, und da verstehen sie nicht zu lesen. Was hätte es nun geholfen, wenn er sich ins Schwert gestüzt? Was hatte Rom davon, daß Brutus es that? Horaz warf seinen Schild fort, machte sich auf die Behendigkeit seiner Hacken, und als er still stand, und sich den Staub abklopfte, sah er, daß der Himmel noch immer blau war und die Sonne so lau und golden auf das schöne Italien schien, als vorhin. Hätte er nun krächzen sollen wie die Eule Tacitus von ihrem alten Thurm, Zeter und Wehe über die Verderbniß der Zeit? Hat Tacitus die Zeit besser gemacht, oder die römischen Sitten, hat er Rom nur
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