Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
anklopfen, wo, wenn er sein Gut und Blut hineinwerfen möchte, ist die Büchse, um es aufzunehmen? Das ist die Frage.«
»Was hilft's Dir, wenn Du die rechte Eingangsthür in ein verrottetes Haus findest, wo drinnen nichts mehr zu retten ist.«
»Es ist,« fuhr Walter auf. »Wie hätte dieser Staat so lange bestehen können und leuchten in der Geschichte. Es ist etwas nie Dagewesenes, wie dies Regentengeschlecht persönlich auf das Volk eingewirkt hat. Das leugnest Du Dir nicht fort, vom Anbeginn bis heute. Es hat alles, was sein eigen war, Gedanken, Geist, Intelligenz, Thatkraft, Muth, Entschlossenheit, Ausdauer, ausgesprützt in die Adern der rohen, verwilderten Stämme, die es vorfand, die es später mit seinen starken Armen umklammerte, bis sie unter dem warmen schirmenden Druck zu einem Leibe verwuchsen. Wir sollten freudig staunen über das Wunder einer Gärtnerkunst, denn das war es, wo die Fürsten von anderm Stamme, Blut, aus einem fernen, fremden Lande, so sich mit dem Boden, den Boden mit sich amalgamirten; wenn nicht eben die Impfe so wunderbar nachhaltig gewirkt hätte, daß alles, was auf dem Throne zur Geltung kam, im Volke sich widerspiegelt und reproducirt, wie die Stärke vorhin, nun die Schwächen, wie das Licht, jetzt die Schatten. Es kam einmal die Sitte von oben herab, die nüchterne, strenge, hausbackene Bürgertugend von jenem Soldatenkönig, dann vom selben Throne mit den laxen Sitten und der Frivolität jene eben so nüchterne Aufklärung. Jetzt, wo Frömmigkeit und Gerechtigkeit in mildem Scheine von oben ausstrahlt, wo wir aus einem guten Sinne auf Tüchtiges gehofft, ist's die Unentschlossenheit, die sich auf das Volk ergießt und es zersetzt. Wie, wo soll da geholfen werden! Nein, wer soll helfen, wer die adstringirende Säure gießen in die in Auflösung befindliche Masse?«
»Frage lieber, wer ist der neue Prometheus? Denn die Nachkommen des alten verfolgten Revolutionärs sind im Laufe der Zeit legitime Philister geworden, gute Bürger, die des Nachtwächters Ruf gehorchen: Bewahrt das Feuer und das Licht. Schaff' Dir neue Menschen. Mit den alten ist nichts anzufangen.«
Bovillard war aufgestanden und blickte in die Ferne, wo die Sonne zwischen dem Walde versank.
»Thorheit,« wiederholte er, »zu rühmen, daß wir die Zeit verrücken, die, unser spottend, über uns hinrollt. Der Kriegswagen des Donnergottes, von Sturmrossen gezogen, Festungen zermalmt er und Heere, die für unüberwindlich galten, wie Kartenhäuser und bleierne Soldaten, und es ist nichts so fest auf Erden, was nicht schon knickt wo sein schnaubendes Gespann heranbraust.« – Er legte seinen Arm auf Walters Schultern. – »Ich war da, Lieber, ich sah es ja in der Nähe. Unsern Staatsmann sah ich, heiliger Gott! Friedrich und sein großer Ahn, der Kurfürst, müssten im Sarge roth werden, wenn sie das gesehen! Ein Verräther – nein! Man kann nur verrathen, was man weiß. Wenn er sich in den Wagen setzte, zur Konferenz zu fahren, wusste er noch nicht, was er rathen, fordern, sprechen sollte. Napoleon fuhr ihn an. Er schwieg. Napoleon kajolirte ihm, ging ihm um den Bart. Er schwieg auch. Dies Schweigen soll wirklich den großen Mann anfänglich verwirrt haben, bis er merkte, daß man auch schweigen kann, nicht um zu verschweigen, sondern weil man nicht weiß, was man wollen soll. Solche Rathlosigkeit, solche Fassungskraft, solcher Mangel an Gedanken und Muth! Der Vertreter des Militärstaates wusste von den militärischen Operationen nicht, was ein Quartaner in Preußen wissen muß, ließ sich einschüchtern, Gott weiß womit, und was Napoleon in seiner Laune einfiel; er ließ sein Heer über Gebirge und Flüsse springen, Schlesien nehmen, Polen revoltiren, daß die Adjutanten hinter der Thür kaum das helle Auflachen zurückhielten. Das Heer, geschwächt, blutend, hätte damals nicht vier Meilen mehr gemacht. Dann zum Trost, überschüttete er ihn mit Lobsprüchen für seinen guten Willen, seine Einsicht, und unser Mann ward roth vor Freude. – Und in solche Hände legen unsere Fürsten unser Schicksal, und solchem Feinde gegenüber!«
»Und das deutsche Volk?«
»Soll es für die goldene Bulle schwärmen, für Regensburg oder Wetzlar? Schwärmer giebt es, wofür wären wir Deutsche!«
»Auch die Kreuzfahrer waren Schwärmer, und doch eroberten sie Jerusalem.«
»Warte nur, Lieber, wenn die gutgesinnten Bürger die Straßenjungen gegen sie animiren. Koth auf sie! Mit Recht, sie stören ja die Ruhe. Alle
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