Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Aber mich täuschen Sie nicht, so wenig als ich Sie täuschen will. Ja, ich bin im Kriege mit dieser Welt um mich her. Wenn ich nicht schon ganz gemieden, ausgestoßen bin, o glauben Sie nicht, daß es aus Menschenliebe, aus einem Rest von Achtung vor meinen Eigenschaften ist. Die gesellschaftlichen Rücksichten drücken ihren Stachel auf Den zurück, der sie zuerst bricht. Das ist es allein. Darum kommt man noch in mein Haus, darum öffnen sich die Flügelthüren, wo ich erscheine. Darum noch Händedrücke, plötzlich süße Mienen, wie ihnen auch wird, ein Embrassement! Ich gebe ja noch zu essen, ich habe einen Namen, mein Mann hat einen, meine Vätter hatten einen. Andere führen eine glänzendere Tafel, haben höhere Titel, versammeln anmuthigere Gesellschaft um sich, aber die Thüren könnten sich doch einmal schließen, man könnte hinausgestoßen werden, und dann bin ich gut genug als
pis-aller.
O die Menschen sind vorsichtige Rechenmeister. Auch sind einige so gütig, zu meinen, daß ich Verstand hätte, sogar einen scharfen. Ich sehe ihre Schwächen. Das ist Vielen sehr unangenehm. Meine Zunge verwundet auch wohl; es ist meine Natur. Das ist vielen dieser zartgeschaffenen Seelen noch unangenehmer. Da sie mich nicht von der Welt schaffen können, was ihnen das Liebste wäre, versuchen sie, mit mir zu liebäugeln. Und das ist das Gescheiteste. Wen man fürchtet und nicht vernichten kann, muß man streicheln, bis die Gelegenheit kommt, eine Fallgrube, in die man ihn hinterrücks stößt. Das ist die Politik der Natur; Könige und Kammerdiener, Kluge und Dumme üben sie, und es giebt, die meinen, daß die Welt nur durch sie besteht.«
Wer hatte diese unglückliche Frau bis zu diesem Aeußersten gereizt? So hatte sie sich nie ihm gezeigt. Sie schien seine Gedanken zu lesen: »Hat meine Aufwallung Sie erschreckt? Beruhigen Sie sich, mein Herr, ich werde auch wieder ruhig werden. Es ist zuweilen Bedürfniß, sich gegen Menschen auszusprechen, von denen wir glauben, daß sie uns verstehen.«
Sie war ans Fenster getreten, aber mit einem Umweg und Seitenblick auf den Spiegel, wie Walter, jetzt aufmerksamer, bemerkte. Sie hatte das Fenster geöffnet, um Luft zu schöpfen, aber sie hatte mit dem Tuche rasch die Toilette ihrer Physiognomie gebessert. Als sie sich zu unserem Bekannten umwandte, war das Gesicht ein anderes, die fieberhafte Aufregung war verschwunden, die Augen stachen noch, aber glühten nicht mehr, es war der lauernde, ernste Ausdruck, der in ihren Zügen fesselte und abstieß.
»Ich gab mich Ihnen eben ganz wie ich bin. Sie konnten das geheimste Fältchen in meiner Seele lesen. Ich überlasse Ihnen, davon Gebrauch zu machen, wie Sie wollen, denn ich bin nicht so albern, zu glauben, daß ein Rest von Dankbarkeit und Pietät Sie bestimmen sollte, mich zu schonen. Nein, beurtheilen Sie mich, klagen Sie mich an vor der Welt, wie Sie mich kennen gelernt. Mein unglücklicher Mann wird sterben, – den täuschenden Trost der Aerzte weiß ich zu würdigen – er wird sterben und mich wird man anklagen. Man wird sagen, ja, als es zum Aergsten kam, da schlug ihr das Gewissen, da pflegte sie ihn, da verließ sie ihn nicht bei Tag und bei Nacht, da härmte sie sich ab. Warum nicht früher? Und die klugen Leute haben Recht, denn der Schein ist wider mich. Wer sieht denn hinein in das geheime, zwanzigjährige Wehe eines zerrissenen Herzens! Ich verbarg es der Welt; es hat Niemand ein Recht, meine zerrissenen Schuldbücher nachzuschlagen. Das Glück meines Lebens kostete mich der Schein, die Rolle einer Befriedigten zu spielen. Wenn ich nun aufschrie: er war nie mein Gatte! Nein, mein Herr, ich ward ruhig, ich ward sehr ruhig. Sie mögen mich eine Frau schelten, die um ihren Mann sich erst kümmerte, als der Anstand forderte, auf seinem Todtenbett das Haar vor Schmerz zu raufen. Ich will ihnen auch den Gefallen nicht thun; ich will ihnen auch den Schein lassen, mich kalt, gefühl- und herzlos zu schelten. Meine Trauer will ich in mich verschließen und eine stumme Bildsäule an seinem Sarge stehen, damit sie ein Räthsel mehr zu lösen finden. Jeder mag es nach seiner Art. Sie, Herr van Asten, kennen mich nun, in einer unbewachten Stunde schloß ich mein ganzes zerrüttetes Sein vor Ihnen auf. – Nun suchen Sie sich Kompagnie, die Ihnen gefällt, unter Hohen und Niederen, über mich herzufallen, mich zu zergliedern, zu verurtheilen. Ich bin auf Alles gefasst.«
»Ich aber nicht darauf, daß Frau Geheimräthin
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