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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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zugezogen. Die Gargazin drückte die Hand ihrer Begleiterin und flüsterte ihr ins Ohr: »Die Knospe bricht; heute entscheidet es sich.«
    Zu mehr war nicht Zeit. Gruppen drängten sich um einige spät Angekommene. Prinz Louis kommt nicht, lautete die eine Botschaft. Ein Zweiter wusste von der eingelaufenen Nachricht: der französische Kaiser habe Distrikte und Orte am Rhein besetzt, die unzweifelhaft zu Preußen gehörten, und mit dem Übermuth der Reunions-Kammern sie für französisches Staatsgut erklärt. Der Ministerrath war nach dem Palais berufen. Man hatte auch Generale in äußerster Erhitzung dahin stürzen sehen. Einige wollten wissen, man werde über Nacht dem französischen Gesandten die Pässe zustellen. Die Fürstin rief nach dem Geheimrath Johannes von Müller. Er war nicht mehr in der Gesellschaft; schon vor einer halben Stunde war er abberufen. Eine andere Botschaft aus dem Hause der Geheimräthin: der Herr Geheimrath befinde sich in heftigem Fieber und phantasire, indem er wunderbare Namen anrufe. »Will denn Alles heut den schönen Abend uns stören!«
    Die Geheimräthin war nicht der erste Gast, welcher Abschied nahm. Die Geheimräthin hatte eine Ahnung den ganzen Abend durch geplagt. Ihr sei, versicherte sie, als wenn ein furchtbares Gewitter, ein Erdbeben im Anzuge sei. »Um so größer war Ihre Gefälligkeit, den ganzen Abend die Heitere gespielt zu haben –« Dafür hatte die Fürstin sie weiter begleitet, als die Etiquette forderte, vielleicht billigte: »Ich möchte von Ihnen den Muth lernen, wie man bei einem Erdbeben lächelt.«
    Die Fürstin lächelte aber nicht, als sie zurückkehrte, man konnte vielmehr ein leichtes Schaudern bemerken: »Ich hoffe, es war das erste und letzte Mal.« Ein Vertrauter, wie Wände und Möbel es sind, vor denen man nichts verbirgt, aber sie erwidern das Vertrauen nur durch Schweigen, ein russischer Kavalier hatte den Herzenserguß gehört und wagte darauf zu antworten: »Warum behandelten Erlaucht die Frau mit der Aufmerksamkeit?« – »Weil ich sie fürchte,« hatte die Fürstin dem Möbel erwidert, »weil – ich muß Wandel fragen.«
    »
La table est servie!
« meldete der erste Kammerdiener.
    Auch Wandel war verschwunden. Der erste Gast war jetzt der Präsident, die vornehmeren waren fort: »Es wird doch auch diesmal nur blinder Lärm gewesen sein!« sagte die Fürstin. – »Gewiß,« entgegnete der Präsident, indem er ihr respektvoll den Arn: reichte. »Man wird schon wieder ein Auskunftsmittel finden, und wir können –« »Ruhig essen, Herr Präsident. Meine Herren führen Sie die Damen, unsere Ordnung ist zerrissen – wie es sich findet.«
    Die Ordnung war zerrissen, die Tischgänger wurden gepaart, wie Niemand es erwartet hatte.
    Wir haben Louis Bovillard in dieser Soirée nur einmal ins Auge gefasst, und auch da nur durch die Vermittelung anderer Augen. Vielleicht verloren wir nichts. Den vernichtenden Titanenhumor, der ihn für Viele interessant machte, ließ er nur noch selten spielen. Was gehörte er in die Gesellschaft? War er doch auch vielleicht entwichen in einem langen Siechthum! Was der Strömung der Zeit angehört, wird heut von ihr auf der Woge hoch getragen, daß es die Wolken ansprützt, um morgen im Abgrund zu versinken. Der Kothurn, den wir heut bewundern, morgen belächeln wir ihn. So liefert die Tragödie von gestern immer Stoff zur Komödie von heute.
    Louis Bovillard sahen wir durch die Thürritze als Träumer. Im Kostüm des englischen Spleen hatte er einige alte Damen verletzt. Die jungen mochte er nicht verletzen wollen, denn er war plötzlich ein anderer geworden. Er war in ihrem Kreise voll Laune, Witz, liebenswürdig vom Wirbel bis zur Zeh, aufmerksam auf jede Neckerei, die er in dem Tone wiedergab, von dem sie ausging.Was hatte ihn so verwandelt? Die Liebenswürdigkeit der jungen Damen oder die steinernen Gesichtszüge, die Adelheid ihm zeigte? Man kann ja nicht immer in einer Gesellschaft den Träumer spielen, sonst wird man langweilig; und Adelheid mochte das auch denken, denn nichts verrieth, daß sie sich über diese Veränderung wunderte. Man hatte in dem lustigen Zimmer Pantomimen aufgeführt beim Klange des Klaviers. Aber Louis musste längst vergessen haben, um was er am Instrumente saß. Er träumte wieder, denn er hatte sich in Akkorde vertieft, die wohl zu einem schauerlichen Liede von Novalis oder Tieck passten, aber nicht zu der harmlosen Situation aus der jüngsten Reichard'schen Oper, noch zu den

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