Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Scherzen des Suchens nach der Musik. Hatte die junge Gesellschaft das gemerkt? denn sie war allmälig verschwunden vor den dumpfen, langaushallenden Tönen, die er den Tasten entlockte. Nur Eine war hinter dem Klavier sitzen geblieben, und als er die Phantasie mit einem Tonschlage schloß, der wie ein tief aufseufzender Meeresstoß gegen das Eis brach, respondirte ein Ton der Bewunderung aus ihrer Brust.
»Das war zu göttlich! Eigentlich verdiente es einen Kranz!« Comteß Laura war aufgesprungen, und ehe der Fortepianospieler es sich versah, fuhr ihr weicher Arm um seine Schulter und steckte das Bouquet feuriger Nelken, das sie in der Schürze getragen, rasch ihm an die Brust. Als er den Arm fassen wollte, um den Dank auf die Hand zu hauchen, war die Nymphe entschlüpft. Das Unglück aber wollte, das die Zipfel ihres garnirten Tuches an seinen Rockknopf sich genestelt. Das Tuch war lang und erst in der Mitte des Zimmers ward sie inne, daß sie an ihn gefesselt war. »Sie zerreißen mein Tuch.« Er zog sie langsam an sich. »Was wollen Sie?« – »Sie strafen, daß Sie entfliehen wollten.« Sie musste ihr Tuch mehr lieben, als die Strafe fürchten, sonst hätte sie doch das Tuch losgelassen und wäre entflohen.
Als er ihr jetzt entgegensprang, um sie zu strafen, erschreckte ihn nicht ihr leichter Schrei, mit dem sie dem strafenden Arm sich zu entwinden suchte, sondern – eine Erscheinung. Adelheid stand zwischen der Thür und ihm, die Hand ans Herz gepresst, als fühle sie einen Schmerz, blaß, mit Geisteraugen, wie eine Bildsäule.
»Meine Herren, schnell den Arm der Damen!« riefen mehrere Stimmen, als durch die offene Thür der Zug zum Speisesaal vorüberging. »
Sans gêne,
Jeder wer ihm zunächst steht.«
Ob er, ob die Comteß das Tuch vom Knopfe losgenestelt, wissen wir nicht, aber es musste losgemacht sein, denn Bovillard fand kein Hinderniß mehr, als er der ihm Nächststehenden den Arm öffnete. Es machte sich von selbst, es ging nicht anders, ohne einen Verstoß. Es war Adelheid, die der Strom auf ihn zudrängte, während er die Comteß fortschob. Auch sie musste, sie stand ihm zu rechts. Aber sie weinte. Eigentlich bebte nur ihre Brust. »Ihre Schlussakkorde – es war mir, als ob – als ob etwas sprang –«
»Darf ich?« rief die näselnde Stimme des Baron Eitelbach zur Comteß, ohne sich tief zu neigen. Sie sah ihn einen Augenblick von oben bis unten an, und steckte dann ihren Arm in den seinen mit einem »qu'importe!« Es machte sich auch von selbst. Es waren die letzten Gepaarten.
Drei Paare folgten einander zu Tisch, von denen Keiner am Abend erwartet, daß der Zufall ihn zu dem Andern führen würde. Die zwei sahen wir eben; ihnen voran ging der Rittmeister Stier von Dohleneck und die Baronin Eitelbach. Spottvögel verglichen sie mit Kerzen auf einem Armleuchter.
Fünfundsechszigstes Kapitel.
Ein belauschtes Intermezzo.
Im Vorzimmer des neuen Ministers stand Walter van Asten. Es war Vieles vorgefallen, was diese Audienz, um die er nicht nachgesucht, immer wieder aufgeschoben hatte. Der Minister war einmal zum Könige berufen gewesen, eine dringende Konferenz hatte sich ein ander Mal in die Länge gezogen. Man hatte ihm hinaus sagen lassen, es thue dem Minister sehr leid, aber um ihm seine Zeit nicht zu rauben, werde Excellenz ihm einen andern Tag bestimmen lassen.
Am heutigen war Walter mit frohem Herzen aus dem Hause gegangen. Nicht weil ein entfernter Bekannter, der sich plötzlich seinen Freund nannte, heut Morgen zu ihm gestürzt war, mit der frohen Kunde, die er vom Schwager des Bruders eines Kanzleibeamten gehört, daß derselbe seine Brochüre auf dem Arbeitstisch des Ministers liegen gesehen. Seine Schrift hatte Walter fast vergessen. Was war es jetzt Zeit zu Organisationen. Es war kein anderer Impuls in ihm. als die Lust des Atoms, sich aufzulösen in das Allgemeine. Nur rasch wünschte er die Operation. Es ist ja Alles vergänglich; auch der tiefste Seelenschmerz, von dem wir nie zu genesen glauben, ist nur ein bitterer Rausch, der sich verflüchtigt. Wie furchtbar er auch die Brust des Ruhigen, Verschlossenen durchwühlt, so, in stillen Augenblicken, daß er die Sonne untergesunken sieht, um nirgend wieder aufzugehen, auch der Schmerz arbeitet doch nur wie Alles, was Odem hat, bis sein Athem ausging! Dann – ja dann, was uns ins Auge fällt, der Abendstern oder ein Abenteuer, ein Problem oder ein Bild aus dem Alltagsleben, Hitze oder Kälte, Hunger oder Durst, die
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