Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
die Vorsehung ihm bot? Ist das nicht viel mehr Hochmuth, vielleicht der impertinenteste Dünkel, sich nur selbst genügen zu wollen? Sollen wir nicht klug sein, wie die Schlangen? Und was Klugheit! Grassirt nicht unter diesen Menschen die Manie zu protegiren? Sie locken uns; wir brauchen nur zuzugreifen. Es ist der Kitzel des Stolzes und der Armseligkeit Derer, die aus sich nichts machen können, Andere zu erheben, die sich ihnen fügen, ihren Launen schmeicheln, in ihre Gedanken hineinlügen. So entstanden Schulen, künstlerische, philosophische, religiöse, so erwuchs das Königthum zu der mythischen Größe. Man erhob sich, weil man Kleinere unter sich groß werden ließ. Man unterließ den Pyramidenbau, weil man inne ward, daß man doch nicht über die Wolken dringe; aber je mehr Abstufungen man zu seinen Füßen betrachtete, um so erhabener dünkte man sich selbst. Es ist ihr Spielzeug, warum erfassen wir es nicht, und lassen sie spielen zu unserm Zwecke!«
Sein Blick fiel auf eine Fensterreihe, schräg dem Hotel gegenüber. Ein Theil dieser Fenster war mit grünen Jalousieen verschlossen; sie schienen nicht erst heute gegen den Sonnenbrand herabgelassen, der dicke Staub darauf sprach von einem langen Verschluß. Das ganze Haus sah still und öde aus wie eines, worin Krankenluft wehte. Ein Leiterwagen mit Strohbunden kam langsam herangefahren. Er hielt seitwärts. Man streute das Stroh langsam auf das Pflaster vor dem Hause. Jetzt rollte vor einem der Mittelfenster die Jalousie langsam auf, eine weibliche Gestalt sah auf die Arbeiter hinaus. Die Geheimräthin Lupinus gab den Leuten Anweisungen, die er nicht hörte. Sie hatte wieder ein Tuch vor dem Munde und wehte sich frische Luft zu. – Man nannte die Lupinus eine unglückliche, schwer vom Schicksal heimgesuchte Frau. Man rühmte sie wegen der stoischen Ruhe, mit welcher sie die harten Unfälle, die Schlag auf Schlag sie trafen, ertrug. Sie widmete sich Tag und Nacht der Pflege des kranken Gatten, und musste von ihren Bekannten an die Pflicht erinnert werden, zuweilen auch an sich selbst zu denken. Die Zufälle des Geheimraths sollten besonderer Art sein, und er seine Pflegerin durch wunderbare Phantasieen plagen. Von alledem merkte man nichts, wenn sie in der Gesellschaft erschien. Sie sprach von dem, was ihr bevorstehe, mit Ruhe und Fassung. Sie mache sich keine Illusionen, wenn auch die Ärzte ihr Trost zusprächen: mit einem Seufzer fügte sie hinzu, sie habe in ihrem Leben die Trugschlüsse dieser Wissenschaft hinlänglich kennen gelernt. Sie citirte gern Stellen aus Mendelssohns Plato. Was sei denn das Leben anders, als ein Gefängniß oder ein Wachtposten, aus dem die Seele sich hinaussehnt nach Befreiung oder Ablösung. Sie blickte auch wohl nach den Sternen, und schien über sich selbst zu lächeln, wenn sie in zwei kleinen, die sie bezeichnete, die lieblichen Kinder zu sehen glaubte, die unter ihrer mütterlichen Pflege in das Jenseits entschweben müssen. »Halten Sie mich um deswillen nicht für eine Schwärmerin,« setzte sie mit einem sanften Händedruck hinzu, »dazu bin ich verdorben. Meine Freunde sagen zu oft, daß ich es am Ende glauben muß, ich sei eine Philosophin. Die Leidenschaften, die uns verwirren und aufregen, wer kann von sich rühmen, daß er sie ganz bewältigt, um zu der Ruhe der Seele zu gelangen, welche uns zu wahrhaft Freien macht! Bin ich nicht eine schlechte Philosophin, wenn ich nicht einmal so weit Herr über mich ward, wie mein guter Mann? Er sieht seiner Auflösung mit der Ruhe des Gerechten entgegen, froh wie ein Kind jeden Augenblick genießend, der ihm noch geschenkt ist; der Sonnenstrahl, der in sein Zimmer fällt, presst ihm ein Lächeln aus, er weht mit der Hand durch die Sonnenstäubchen; er streichelt den Kater über den Rücken: was wird aus Dir nach meinem Tode werden? Er kann noch scherzen: ob man nicht Versorgungsanstalten für treue Hausthiere einrichten solle? Mein Herz blutet bei diesen Scherzen, und das sollte eine Philosophin nicht. Sie sollte auch nicht mehr hoffen, wo der Verstand ihr sagt, daß hinter der Hoffnung ein Strich gemacht werden muß. Ich kann es noch nicht,« sprach sie, sich plötzlich abwendend, das Tuch am Gesicht, »da sehen Sie, was ich für eine Philosophin bin!«
Die Geheimräthin Lupinus ward allgemein bewundert, aber man fröstelte bei dieser Bewunderung und man vermied sie. Walter hatte scharfe Augen. Das Gesicht kam ihm heute besonders spitz vor. Sie schielte ja. Fiel nicht
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