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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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ihr Blick seitwärts über die ganze Straße? Wie kam ihm die Vorstellung von einem Brennglas, das in der Ferne zünden soll? Er hatte niemals Zuneigung für sie empfunden. Wie oft hatte er im Gespräch über ernste wissenschaftliche Gegenstände die Schärfe ihres Verstandes, ihre Phantasie im Kombiniren bewundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier gleich darauf die Anschauung überzog, eine ätzende Substanz, welche die eben noch blühenden Farben verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blauer Kupferstich. Er war nie erhoben durch ihr Gespräch, er ging nie froh von ihr. Was wollte diese Frau? Jetzt eine Philosophin, die das Firmament durchdringen will nach dem Ewigen; jetzt schien ihre Brust sich zu heben von Hochgefühlen für Vaterland, Freiheit, für die Heroen der Menschheit. Fand sie eine Schranke, eine eiserne Wand, vor der sie zurücksank nach verzehrendem Kampf? – Nein, ihre Flügel schienen schon erlahmt, wenn die Zuschauer fortsahen. Und dann wie das Vogelgeschlecht, das auch Flügel hat, aber nie in die Wolken sich erhebt, flatterte sie im Frivolen, Eitlen, gehoben von keinem andern Drang als dem der Gefallsucht. Tausende, die nach dem Interessantsein haschen, zufrieden, wenn irgend etwas als vorzüglich anerkannt wird, sei es auch nur eine Lieblingsarie am Klavier, ein kleiner Fuß. ihr feines Whistspiel. Wo blieb sie denn stehen, woran hielt sie sich? fragte er sich. Wäre sie sich selbst genug? Auch die Vorstellung, von Allen verkannt zu sein, es ist eine bittere Wollust, aber sie mag zur Säule werden, auf die zuletzt allenfalls eine Säulenheilige klettert und in schwindelndem Stolz auf das Gewühl herabsieht.
    Aber – nein, dazu pulste ihr Blut zu ruhig. Der holde Wahnsinn spielte nicht um ihre Schläfe, sie, jeden Augenblick die sich bewusste Beherrscherin ihrer Worte, ihrer Mienen. Wusste sie ja sogar, daß sie den Männern nicht gefiel, daß Frauen vor ihren Liebkosungen erschraken. Gefühlvolle erkältete ihr Gespräch, Geistvolle fühlten sich gelähmt, nur Solche geriethen in Entzückungen über ihren Geist, die von ihr sich heben und tragen lassen wollten, und auch diese nur so lange, bis sie ihrer nicht mehr bedurften. Und auch das wusste die Unglückselige! Wohin er blickte, was sie gelten wollte, sie erreichte es nicht. Schwärmte sie für Napoleon, studirte sie Plato, begeisterte sie Fichte, erglühte sie für die Schönheitsformen des Alterthums, war sie plötzlich von patriotischen Gefühlen für die Ehre des Vaterlandes erweckt, war sie die liebevolle Pflegerin des kränkelnden Gatten? Nichts von alledem! Walter hatte mathematische Beweise dafür.
    Sie schloß jetzt wieder die Jalousieen. Die spitzen Finger der magern Hand waren noch sichtbar, wie sie sich mühten eine Schlinge an einen Wandnagel zu befestigen. Es gelang nicht so schnell. Das Spiel der einsamen Hand hatte etwas Unheimliches für Walter. Was wird sie nun drinnen in der dunklen Stube anfangen? Handarbeiten? Sie nahm sie nur vor, wenn Fremde da waren, gewisse angefangene Stücke, die er gut kannte. Stickereien, Nähtereien, die aber nie fertig wurden. Würde sie sich ans Bett des Kranken setzen, den Schweiß von seiner Stirn wischen, seine magere Hand liebevoll streicheln? Er glaubte durch die Mauer zu sehen, daß sie mit Schaudern vom Kranken sich abwandte. Vielleicht ergriff sie eine Lektüre? – Was sollte sie lesen? Und am Krankenbett! Da lagen gewisse Bücher, Mendelssohns Plato, Tiedge's Urania, Fichte, Schleiermacher, aufgeschlagen oder mit Zeichen unter ihrem Arbeitstische. Je nach dem Besuch, der sich meldete, ward eins auf den Tisch gelegt. Die Geheimräthin galt für eine sehr belesene Frau, sie sprach mit Geist über die Novitäten, die – sie nicht gelesen hatte. Walter hatte sie für sie lesen, ihr den Inhalt vortragen müssen. O er wusste Bescheid im Hause; und wie viel hatte ihm Adelheid mitgetheilt! – Ein Schmerz, ein Gedanke, ein Blitz zuckte durch seine Brust. Was hatte sie mit Adelheid gewollt? – Nicht drei Tage waren vergangen, und sie hatte sie gequält, alle ätzende Schärfe des Verstandes auf das Kind der Natur ausgegossen. Was war denn ihre Absicht? Sein Herz pochte immer heftiger. Ein Möbel, ein Schmuck des Hauses, den man ankauft, um Gäste anzulocken, verdirbt man nicht, man bemüht sich nicht, ihm die natürliche Farbe, seinen Glanz zu rauben. Aber hatte nicht diese Frau – Adelheid hatte es nie ausgesprochen, in ihrem stocken, ihrem Zittern hatte er es gelesen. Mein Gott,

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