Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Augen schließe, kommt man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier haben immer an Anderes zu denken, was ihnen wichtiger scheint, darüber vergessen sie das Nächste. –« »An diesem heißen Augusttage ist es doch wohl nicht das Nächste, liebe Tante,« entgegnete der Amerikaner. – »Wenn wir aber nicht im Sommer für den Winter sorgen, dann ist es im Winter zu spät. Im Winter aber denken sie, nun, es ist ja noch Zeit, es kommt ja der Sommer. So wechseln Winter und Sommer und es geschieht nichts.«
Es war eine alte bekannte Dame der Residenz, gleich geschätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Frömmigkeit als wegen ihres klaren Geistes. Nur war sie eben so bekannt wegen dieses Steckenpferdes, das ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Armuth fühle sich erst recht, wenn sie in ihren Lumpen in den kalten Gotteshäusern stehe, wogegen die Verlassenen und Gedrückten mit einem ganz anderen Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenschen aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des Lebens geharnischt sei, wo ein Hungernder auf den ersten Angriff fällt. So wusste sie zu beweisen, daß aus dem Heizen der Kirchen nicht allein christlich frommer Sinn, allgemeine Menschenliebe, sondern auch Zufriedenheit, Selbstbescheidung und Gehorsam gegen die Obrigkeit, kurz ein glückliches, vollkommenes Gemeinwesen entspringen müsse.
Die Straße war wieder still geworden und Walter saß am Schreibtisch. Er schlug die Augen nieder. Es war eine ermattende Luft. Er schüttelte die Träume, aber die Wirklichkeit kehrte als Traumbild zurück. Eine Seite stand fertig geschrieben, als er die Feder wieder fortlegte und sich zurücklehnte: »Lohnt es sich denn um dieses Volk! Will es anders sein als es ist! Weiß es, was es wollen muß, um aus der Dumpfheit der Eristenz –«
Er trat noch einmal ans Fenster.
Achtundsechszigstes Kapitel.
Blicke aus eines Ministers Fenster ins innere Leben.
Es war nicht gerade kühler geworden, aber die Sonne prallte nicht mehr vom Pflaster und den hellen Häusermauern zurück. Sie war hinter das Dach eines hohen Hauses gesunken. Ein vornehmeres Publikum bewegte sich langsam zum Thore hinaus. Da ging sein Vater, im Arm den Rittmeister von Dohleneck. Seltsame Freundschaft vom neuesten Datum! Er lächelte über das Gerücht, das der Witz der Berliner Börse erfunden: sein Vater wolle ihn enterben, weil er keine Schulden gemacht, um den Rittmeister zu adoptiren, der viel Schulden hatte; denn die Firma Walter van Asten verdanke ihren Kredit Denen, die keinen hätten. Ihre Schuldigkeit sei es daher, das Schuldenmachen zu begünstigen. Er wusste nun, was seinen Vater und den Offizier aufs Neue verband. Es war kein angenehmer Gedanke. Er wollte nicht durch einen Vater, noch weniger durch einen Gensd'arme-Rittmeister, es war sein Stolz gewesen, nur durch sich empfohlen zu sein. »War das nicht auch vielleicht Phantasie,« fuhr er aus seinen Träumen auf, »eine fixe Idee, wie die der guten alten Oberkirchenräthin? Bewegen wir uns nicht Alle in einem großen Gespinnst, über das wir nie hinausfliegen, wie wir uns auch anstrengen? Wir sehen nur nicht das Gängelband, an dem man uns führt. Ja, Alle sind wir eingeführt in die Kreise, wo wir wirken sollen; der durch seinen Namen, Herkunft, der durch die glatten Wangen, das Geld des Vaters, es war ihm mitgegeben, als er geboren ward. Der ruft den Schneider, den Coiffeur, den Tanzmeister zu Hülfe. Sie lesen, bilden sich, um zu wirken. Was wäre unser ernstestes Studium, wenn uns nicht doch, als endliches Ziel, ein Wirkungskreis vor Augen stände, der uns gefällig machen soll, uns unter den Menschen erhebt, einen Einfluß verschafft! Warum nun, wo wir immerfort Hülfe suchen müssen, um die Lücken unseres dürftigen Ichs auszufüllen, die von uns stoßen, die man uns darreicht, die von selbst da ist! Das Netz, das uns umschlingt, heißt Konnexionswesen. Ist's nicht in unsere Natur eingeimpft, bedingt durch unsere Gesellschaft, unser Gemeinwesen, lag es nicht ausgeprägt in unserm zünftigen, deutschen Sippschaftswesen? Der Sohn schlüpfte in die Kundschaft, Rüstung, die Lehen seines Vaters, die Gesetze drückten ein Auge zu, die Freundschaft half und die Gewohnheit machte die Vererbung zu einem Recht. So überall. Wir sehen freilich Lumpe auf diesem Wege steigen, wo das Verdienst zur Thür hinausgewiesen wird. Warum lässt es sich ausweisen? Warum greift es nicht zu den Mitteln, welche
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