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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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wenn wir fest bleiben, überwinden. Die Märtyrer wurden mit Recht Heilige, nur daß sie thöricht waren, sich für Andere martern zu lassen. Wir würden es für uns. Sie versprechen es mir, Schwester im Bunde, ewig zu schweigen, ich schweige auch. Darauf ein Bruderkuß!«
    Er war fort; seine letzten Tritte verhallten auf der Treppe. Sie hörte die Hausthür öffnen, zuschlagen. Aber er war noch bei ihr . Sein Bruderkuß brannte wie Feuer, jetzt wie Eis. Sie war gebrandmarkt, der Druck des Stempels drang von der Stirn bis ins Herz; sie fühlte ihn von den Fingerspitzen bis zur Zeh.
    Warum bin ich ein Weib! lachte es in ihr. Vergeltung – – Ohnmacht! – So viel kleine Opfer, und der Dämon selbst, sein Hohngelächter zitterte in der Luft, er umschwirrte sie, unerreichbar. Und hätte er zu ihren Füßen gelegen, ohnmächtig gebunden, woher denn Marterwerkzeuge nehmen, die ihren Rachedurst gestillt! Welche Schmerzen konnten das Maß ihrer Schmerzen ausgleichen! Und durfte sie's? Ein Laut, ein Schrei, ein Wort des Gemarterten, und die Klingeln und Glocken hätten in den Lüften geklungen bis ans Ende der Welt, wo Gerechtigkeit ist. Wo ist denn Gerechtigkeit!
    Nein, sie war noch an ihn gekettet an einer feinen, unsichtbaren Stahlkette – jede Rachezuckung und sie vibrirte wieder, elektrisch, in ihm, er hob die Faust – nein, er lachte sie nur an, mit seinen Haifischzähnen: Wenn mich, vernichtest Du Dich! – Zu entsetzlich, er war, er blieb ihr unsichtbarer Bundesgenosse. – Wer in diese Strudel trieb, muß eine Säule finden, woran er sich aufrecht hält. – Ein Todtengerippe! Was ist ein fühlloses Todtengerippe Schreckliches mit einem verglichen, was die Augen noch rollen kann in den Höhlungen? Ja, sie bedurfte solches Stahlgusses, solcher Stärkung, des glühenden Eisens, das zur Wollust werden kann, wenn es den Nerv in dem nagenden Zahne ausbrennt. Sie stürzte in das Krankenzimmer.
    Ja, das war noch schrecklicher als ein Gerippe an der Wand. Er stand aufrecht. Wie die letzte Flamme in einem verglimmenden Feuer auflodert, spielte der letzte Athem in dem lebendigen Knochenmann. Er musste furchtbar gespielt haben. Da lagen zerschlagene Gläser, Geschirre, die kostbaren Horazbände auf die Erde geworfen; ein dicker Staub wirbelte durch das Sonnenlicht, das ohnedem nur dunstig durch die trüben Scheiben drang, wie eine dumpfe abendliche Kirchenbeleuchtung durch gelbe Scheiben. Auch die Decke vom Schreibtisch herabgerissen und der Kater oben, mit gekrümmtem Rücken und orangeglühenden Augen, spinnend. Was hatte das ruhige alte Thier in diese Unruhe versetzt!
    Hatte er, vom Schmerz ergriffen, diese Verwüstung angerichtet? Körperliche Schmerzen waren es nicht. Diese schienen überwunden. Das Gespenst, den Schlafrock weit auf, ein Gerippe darunter, so wankte er auf die Frau zu. Die Brust schlug noch – heftig, in den Skelethänden hielt er ihr ein Buch entgegen. Das Buch zitterte durch die Luft. Das war ein wüster Blick in dem Auge, sein letzter, das war ein Schrei aus tiefer Brust, auch sein letzter: »Weib! es ist falsch – Alles falsch!«
    »Alles ist falsch!« antwortete sie tonlos.
    Er hatte nicht mehr die Antwort gehört. Er lag auf der Diele, er hatte ausgelitten. Der Kater war vom Tisch gesprungen und bäumte sich über den Leichnam. Die Geheimräthin irrte in der Stube umher und konnte den Spiegel nicht finden. Als sie ihn gefunden, konnte sie nichts drin sehen. Sie rieb und rieb, aber der Spiegel blieb blind. »Mein Gott, ich muß doch die Wahrheit sehen!« rief sie und suchte nach einem Tuche. Jetzt meinte sie, der letzte Hauch sei abgerieben. Sie sah sich und sie sah sich nicht. »Allmächtiger –!« schrie sie auf und presste die Hände über ihren Scheitel. Diese Bewegung sah sie, aber sonst nur Umrisse. Umsonst quollen die Augäpfel aus den Höhlungen hervor. Mit einem neuen, entsetzlichen Schrei fuhr sie zurück. Die Gestalt im Spiegel fuhr auch zurück: »Ich bin ja hohl!« Es war ein heulender Ton.
    Ihr Diener fand sie nachher halb auf der Erde liegend, den Kopf aufs Sopha gefallen. Sie sträubte sich verzweifelt, als man sie ins Bett bringen wollte und rief einmal über das andere, man werde gewiß nichts finden.
     
Vierundsiebenzigstes Kapitel.
     
Ein treuer Freund seines Herrn.
    Noch lag ein offizieller Schleier über der nächsten Zukunft, aber er war so durchlöchert, daß wer nur das Auge aufriß, durchsah. In Paris war der Rheinbund gestiftet und Preußen war nicht dazu geladen,

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