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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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auf sich haben.« Wusste denn Jeder nicht nur die Thatsache, sondern schon das Märchen, was sie sich künstlich zurecht gelegt, um die Wahrheit verbergen zu dürfen? – Von wem hatten sie's erfahren? – Gott sei Dank, daß sie wenigstens das nicht gehört, von dem nichts wussten, was – es war das erste Geheimniß, was sie unter ihrer pochenden Brust verbarg. Die Brust blutete vielleicht heftiger als die Hand.
    In solchen Stimmungen kann eine große Gesellschaft, wo Keiner Zeit und Raum hat, auf den Andern Acht zu geben, zur Wohlthat für ein geängstetes Gemüth werden. Ein Hofmann hätte es eine gemischte genannt, sie bestand mehr aus den Optimaten des Reichthums als der Geburt. Der Reichthum hing von den Decken als Kronenleuchter, Armleuchter, Festons, Seiden- und Damastgardinen; er lastete in den Aufsätzen der Nischen und Ecktische, in den Teppichen auf dem Boden, vor allem auf und an der Wirthin. Zum Schildern ist nicht mehr Zeit. Die Juwelen, Ketten, Ringe, Aufsätze, die Madame Braunbiegler vom Wirbel bis zum Gürtel, von den Schultern bis zu den Fingerspitzen trug, waren in Berlin sprichwörtlich. Reichthum, überall, wohin man sah, nicht ausgebreitet, sondern aufgeschichtet, lastend, prahlerisch, ohne Geschmack. In solchen Kreisen pflegt die Unterhaltung der Lebendigen, der Hauch, der über eine Gesellschaft hinfliegen soll, den Widerschein und Abdruck des Apparates anzunehmen.
    Der Patriotismus hier war anderer Schattirung als der, welcher den Scheiben des französischen Gesandten gedroht. Das große Ereigniß, welches die Straßen, die höheren Kreise heut Abend in Bewegung versetzt, die diplomatischen in Entsetzen, hatte weniger Wirkung hervorgebracht. Man betrachtete den Krieg als etwas Ausgemachtes, Nothwendiges, die Dehors desselben kümmerten die Anwesenden weniger. Nur die jüngern Leute versuchten in einer Nebenstube am Klavier die sechs neuen eben erschienenen Kriegslieder, komponirt von Helwig, zu singen. Allgemeinsten Beifall erntete aber das Kriegslied der Preußen von Karl Müchler, komponirt von Mappes: »Endlich tönt der Ruf der Lust!«
    Aber es war ein anderer, näher liegender Gegenstand, der die praktischen Leute beschäftigte. Gestern war eine Frage entschieden, die schon Wochen lang die Gemüther beschäftigt hatte: ob die Infanteristen Mäntel haben müssten? Es war eine Frage gewesen, so wichtig, so ernst behandelt und so lebhaft als irgend eine, welche zuweilen als Riesenschlange durch alle Gesellschaften in Berlin, von den Spitzen der Thürme bis in die Winkel der Kellerwohnungen sich gewunden und dort ihre Streiter gefunden hat. Fragen wie die, ob das neue Jahrhundert um Mitternacht zu 1800 oder zu 1801 gefeiert werden müsse, ob Fleck oder Iffland ein größerer Schauspieler, Friedrich oder Napoleon ein größerer Feldherr gewesen?
    Es war eine ungeheure Neuerung, das gestand sich Jeder, Vielen schien sie gefährlich, weil den Franzosen nachgebildet. Ja, ein Husar, ohne Mantel gedacht, war kein Husar mehr; aber was blieb er noch, wenn auch Musketiere, Füsiliere, Grenadiere Mäntel erhielten! Der Unterschied von Kavallerie und Infanterie schien über den Haufen geworfen, ein so unübersehbarer Eingriff in die bestehende Ordnung, als heute Vielen eine Gemeindeordnung bedünkt, die den Unterschied von Stadt und Land aufhebt. Friedrich hatte mit einer Infanterie ohne Mäntel gesiegt, er musste doch wissen, warum es so besser war. Ein guter Soldat muß nicht frieren, wenn sein König befiehlt, daß er warm ist. Aber die Neuerer hatten eingewandt, daß auch der Infanterist ein Mensch ist, und daß jeder Mensch friert, wenn es kalt ist, daß der Regen den einen durchnässt wie den andern, daß der Krieg seit Friedrich eine andere Façon angenommen, daß Napoleon die Winterkantonirungen nicht mehr respektire, daß er seine Feinde zu Winterfeldzügen nöthigte.
    Die Mäntelpartei hatte gesiegt. Gestern hatte ein Erlaß der Geheimen Ober-Finanz-, Kriegs- und Domainen-Direktion das Publikum davon avertirt: wie Seine Majestät, der König, schon längst darauf Bedacht genommen, daß der Soldat im Kriege nicht frieren dürfe, und wie es Seiner Majestät Wunsch sei, daß alle seine braven Krieger eine wärmere Winterkleidung erhielten, namentlich die Infanterie Mäntel mit Aermeln, die Kavallerie wollene Unterhosen. Da aber selbige aus allgemeinen Mitteln zu beschaffen in gegenwärtiger Zeit auf mannigfache Schwierigkeiten stoße, so werde die Bereitwilligkeit der Nation angerufen, das

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