Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Wandel antwortete, mit der Quaste der Gardine spielend, als unterhalte er sich mit seiner Dame über irgend eine Trivialität: »Seien Sie unbesorgt. – Ich bin, ich bleibe der Wächter Ihrer Ehre – der Kutscher ist von mir gewonnen: es wird noch Alles gut werden, wenn Sie sich nicht selbst verrathen.« – »Mein Gott, Herr von Wandel, wie komme ich dazu!« – »Still! Ich beschwöre Sie, nur keine Emotion! Sie haben sich beherrscht, ich habe Sie bewundert. Fahren Sie so fort. In meiner Brust ruht Ihr Geheimniß wie im Schooß der Erde – vertrauen Sie mir –« »Aber, lieber Gott, wenn ich's recht bedenke, was ist es denn eigentlich –« »Denken Sie nicht, um Gotteswillen, denken Sie jetzt nicht. Dem Reinen ist Alles rein, aber wer ist vor Diesen rein? Ein Rendezvous in der Kutsche – bei Nachtzeit – Ihre verwundete Hand! die zerschlagene Scheibe – die Lüge! O verzeihen Sie, ich rede nur, was Diese reden würden. Grässlich, wenn Auguste morgen der Gegenstand des Stadtgesprächs – Nein, nimmermehr! Denken Sie nicht, Sie sind in Agitation – lassen Sie jetzt Andre für sich denken, die ruhiger sind, die wenigstens ruhiger scheinen,« setzte er seufzend hinzu. Sie reichte ihm bewegt die Hand: »Sie meinen es gut.« – »Gnädige Frau,« sagte er, respektvoll zurücktretend, »Mancher ist doch besser, als man glaubt.«
»Charmant!« sagte der hinzutretende Baron, um seine Frau fortzuführen. »Kontinuiren Sie, Herr Legationsrath, noch bin ich nicht eifersüchtig. Aber was nicht ist, kann noch werden.«
Sechsundsiebenzigstes Kapitel.
Nur eine Kleinigkeit.
Es war schon Nacht, als Walter mit seinen Erkundigungen in das Hotel des Ministers zurückkehrte. Depeschen wichtigen Inhalts waren diesem kommunicirt worden: Napoleon hatte endlich offiziell dem Berliner Kabinet die Stiftung des Rheinbundes notifizirt mit einer formellen Aufforderung, dieser Konförderation zum Wohl des gesammten Deutschlands beizutreten. Ein bittrerer diplomatischer Hohn ließ sich kaum denken. Eben als Laforest von seiner Meldung zurückgekehrt, hatte er die Serenade der Gensdarmen empfangen!
Walter meinte, daß Laforest zu verständig sei, eine Insulte trunkener Jünglinge anders zu betrachten, als sie war.
»Gewiß,« hatte der Freiherr erwidert, »Napoleon wird um dieser Albernheit willen keine Stunde früher losschlagen, als seine Absicht ist. Aber eben, weil wir und er noch nicht gerüstet sind, weil wir beide die Maske der Freundlichkeit noch nicht abwerfen dürfen, zu welchen Lügen zwingt uns abermals die Unbesonnenheit! Man muß die jungen Leute härter strafen, als nöthig. Hardenberg muß wieder mit süßschwellenden Lippen Betheuerungen unserer freundschaftlichen Gesinnung machen. Das ist der Fluch unserer Gedankenlosigkeit,« setzte er hinzu, »des Allesgehenlassens, daß sich Zustände, Stimmungen entwickeln, die naturgemäß heraus müssen; wir ließen sie zu, wir nährten sie sogar, und wenn es zur Explosion kommt, erschrecken wir, stehen rathlos, und möchten mit Keulen das Kind zurückschlagen, das aus der Mutter Leibe will.«
Der Minister stand wieder am offenen Fenster. Athmete er die frische Herbstluft ein, oder verfolgte sein Auge das sternenbesäete Firmament? Zuweilen schien er auf die Blaseinstrumente zu horchen, deren Töne der Luftzug aus entfernten Tabagieen und Gärten herantrug. Es war immer der Dessauer Marsch.
»Der alte Dessauer sang ja auch wohl die Kirchenlieder nach der Weise! – Es ist Alles hier eine Weise. Das ist's, was den Muth dämpft.« Walter meinte, in Ansichten sei doch eine Musterkarte vorhanden. »Nein, die Uniform ist ins Blut gedrungen. Das ist's! das ist das Uebel. Ein König war einmal ein Wütherich der Sitte, da wurde das Volk puritanisch, ein anderer ein Freidenker, da wurden sie Freigeister. Dann Libertins, zur Abwechselung Träumer, magnetisch verzückt, Geisterseher. Aus Ueberdruß auch wieder tugendhaft, häuslich. Sie wären Encyklopädisten, Freimaurer, bureaukratisch fischblütige Jacobiner geworden, wenn Menken länger gelebt, und Beyme nicht in die Stricke der Andern gefallen wäre! – Und was das Uebelste vom Uebel, sie halten diese Virtuosität des Nachspringens noch für Bravour und Tugend.« – »Und hat nicht diese Virtuosität oder Tugend unsern Staat zu dem gemacht, was er ist?« – »Respekt vor dem Geschlecht, junger Freund! Die großen Männer waren es, die Riesengeister, von jenen Bergen stammend, auf denen auch der Hohenstaufen in die
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