Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
aufquillt, dem er plötzlich zu folgen sich gedrungen fühlt, auch wenn er entgegen der Strömung ist, der all sein Fühlen und Denken sich hinneigt. Bei großen Mänern ist es ein Kitzel, mitten in Plänen, welche die Welt verrücken sollen, sich starr auf einen einzelnen Punkt zu setzen, der damit nichts zu thun hat, sorglos, ob die Emsigkeit, welche sie der Bagatelle widmen, sie an ihrem größern Schaffen hindert. Cäsar, mit dem Plan die Welt zu erobern im Kopfe, beschrieb, wie ein Liebender die Augen der Geliebten, die Konstruktion der hölzernen Rheinbrücke, die er erfunden. Es ist die ewige Mahnung an die großen Geister, daß all unser ernstes Thun vor einem höhern Auge Spielwerk ist. An Frauen es zu rügen, ist keinem Billigen eingekommen. Wenn sie gar nicht mehr spielen sollten, was wären sie sich – uns! Auf Königin Luisens Seele lastete Ungeheures. Seit der vorjährigen Gruftscene in Potsdam schien sie Vielen ihrer Umgebung wie ausgetauscht. Sie las nicht mehr Lafontaines Romane, daß sie heute sie gerühmt, war nur pietätvolle Erinnerung gewesen, sie lebte der ernsten Sorge vor der Gefahr, die über dem Hause ihres Gatten, dem Lande ihrer Liebe und Wahl schwebte. Keine Frau, vielleicht wenig Männer fühlten so schwer, innig, zuweilen klar die Bedeutung der Zeit, und doch hatte sie ein Etwas, was ganz außer diesem Kreise lag, mit Eifer aufgefasst. Sie hatte sich für das schöne Mädchen interessirt, von dem der Ruf so viel sprach, die erste Begegnung hatte dies Interesse erhöht. Sie wollte Adelheid, nach dem gelegentlichen Gespräch mit ihrem Vater, vor einer Verbindung bewahren, welche dieser beklagt, welche ihr als Unglück erschien. Wie ihre Phantasie plötzlich sich dieses Gegenstandes so bemächtigen können, bleibt uns ungesagt, aber es war so, es war nicht unnatürlich, und die Königin sprach wie eine lebende, zärtlich besorgte Mutter zu ihrem Kinde.
Luisens Beredtsamkeit ward von ihren Zeitgenossen als so bezaubernd gerühmt. Jedes Wort aus ihrem Munde sei ein Schlag des Herzens, ein Klang der Seele gewesen, da wo eben das Wort nur die wahrhafte Aeußerung des wahrhaft im Innern Lebenden war. Der Zauber dieser Beredtsamkeit sei gewesen, daß sie nicht eine Kunst war, sondern eine Tugend. Wie ihre Briefe ein voller unverkümmerter Herzenserguß waren, so folgten in ihrer Rede, wenn das Herz sie diktirt, die Sprachfertigkeit dem raschen Schwunge ihrer Gedanken.
So hatte die Königin zu Adelheid gesprochen. »Sein Sie, zeigen Sie sich jetzt stark. Drücken Sie Ihre Hand an das blutende Herz – ich weiß, daß es blutet, ich kenne auch diesen Schmerz – aber man kann ihn überwinden! Reichen Sie mir die andere, dann sehen Sie mich mit Ihren klaren Augen, die nicht lügen können, an und sprechen: Ja, ich will entsagen.« So schloß die Königin und hatte vielleicht erwartet, daß Adelheid auf die Kniee sinken, ihre Hand an die Lippen pressen, das Gesicht in ihrem Schooß verbergen würde. Gerührt von so vieler Güte und Theilnahme, musste sie das Gelöbniß stammeln, und Luise hätte sie dann in ihre Arme geschlossen und vielleicht gesprochen: »Nun sind Sie mir doppelt gewonnen!«
Aber Adelheid sank nicht auf die Kniee, sie presste nicht die königliche Hand an die Lippen und verbarg auch nicht ihr Gesicht. Sie blickte so klar und ohne Trug, wie die Fürstin es verlangt, diese an und sprach:
»Gegen wen, erlauchte Frau, wäre es Pflicht, dem schönsten Traume meines Lebens zu entsagen?« – »Gegen sich selbst! Können Sie keinen noch schöneren sich denken, das Bewusstsein, Ihre Tugend und ihr besseres Sein vor Ihren Affekten gerettet zu haben?« – »Ich fühle in mir nicht den Beruf eine Heilige zu werden,« erwiderte Adelheid. »Ich bin was ich bin, und will nicht mehr sein, ein Mädchen wie andere, von nicht zu heißem und nicht zu kaltem Blute. Ich glaube mich überwinden zu können, wenn ich muß, wo ich aber die Nothwendigkeit nicht absehe, glaube ich ein Recht zu haben, wie jedes lebende Wesen, wo Gottes Sonne auf mich scheint, mich zu freuen in ihrem Strahl.«
»O mein armes Kind,« fiel die Fürstin ein, »ich sehe die Gluth Ihrer Leidenschaft, aber täuschen Sie sich nicht. Ich sehe mehr, Ihre tugendhafte Seele empfindet mit dem Verlorenen Mitleid, Sie wollen sich ihm opfern, um ihn glücklich zu machen, Sie fühlen den Drang schöner Seelen, eine Märtyrerin zu werden. Kennen Sie ihn ganz? Fragen Sie sich, ob er es werth ist, der Mann, der – wie viele, so
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