Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Krisis, es gab kein Mittel. Fieberhitze durchglühte sie, und sie schüttelte vor Frost, als sie aufgestanden. Auch die Königin stand auf. Noch wandte sie ihr Gesicht ab. Es war etwas – war's ein Kampf? – was sie vor sich selbst verbarg. Wenn sie sich jetzt umwandte, ein zürnender Blick, eine Handbewegung Adelheid zurückwies, wenn sie ohne eine Silbe den Hügel hinabschritt, Adelheid jetzt allein ließ, verstoßen verloren – Nein, sie wandte sich um, und im nächsten Augenblick drückte sie das verlassene Mädchen an ihre Brust. Worte sprach sie nicht, nur eine Thräne fühlte Adelheid über ihre Wangen rinnen. Als sie schweigend die Allee zurückgingen, hatte das Sterbegeläute vom Kirchthurm aufgehört; dafür schmetterten Trompeten, und ein kriegerischer Marsch der Garnison des Städtchens tönte über die Baumwipfel. »Gott sei Dank!« sprach die Königin. »Das erleichtert das Herz.« Am Schlosse beim Scheiden reichte sie Adelheid die Hand zum Kusse. Dabei flüsterte sie ihr zu: »Wir sehen uns bald wieder.«
In ihren Appartements befahl die Königin ihrem Kammerherrn, zum Minister Stein zu fahren. Sie wünsche ihn zu sprechen.
Darauf hatte sie eine längere Unterhaltung mit der Viereck. Die Hofdame erklärte nachher den Hofleuten, daß Ihre Majestät endlich so huldreich gewesen, in den Wunsch einzugehen, den sie schon längst gehegt, nämlich bei ihrem geschwächten Gesundheitszustande eine Gesellschafterin zu nehmen, welche in ihren Appartements wohnen dürfe. Sie denke die Tochter des Geheimraths Alltag, die sich dazu anstellig zeige, zu acquiriren.
Achtundsiebzigstes Kapitel.
Eine Maus und eine Mausefalle.
Bei Madame Braunbiegler sollte Whist gespielt werden. Die Gesellschaft war nur klein, kam aber nicht zur Ruhe. Wenn man kaum die Karten gezogen, störte eine Nachricht, eine Person, die unerwartet hereinstürzte. Es war nun einmal Unruhe in der Stadt, die mit dem besten Willen sich nicht bewältigen ließ. Man wusste schon, daß das Heer jetzt wirklich auf den Kriegsfuß gesetzt werden solle. Wenn man nur abgewartet hätte, bis die Mäntelgelder beisammen waren! hatte Madame Braunbiegler gemeint; aber es waren noch nicht siebzigtausend Thaler gesammelt. – Und was hilft das Geld, wenn die Schneider fehlen! hatte der Legationsrath gesagt. Da brachte Herr von Fuchsius eine Nachricht, welche alle bisherigen in den Hintergrund drängte. Die Königin hatte endlich ihren Widerwillen gegen den jungen Bovillard aufgegeben, er war ihr vorgestellt worden, sie hatte ihn gnädig aufgenommen, sich günstig über ihn geäußert, zu Andern aber spitz gesagt, er müsse wohl viele Feinde haben, da er ihr ganz anders geschildert worden. Er war Tages darauf zum Legationssekretär, Andere meinten sogar zum Legationsrath ernannt worden, beauftragt zu gewissen Vorträgen im Kabinet und in der persönlichen Nähe der höchsten Herrschaften. Man war getheilter Meinung, ob dahinter eine Intrigue des neuen Ministers stecke oder des alten Bovillard. Fuchsius lächelte, als eine Dame mit einem andern: Wissen Sie schon? hereinplatzte. Die Alltag ist zur Gesellschafterin der Viereck ernannt. Sie zieht ins Palais! – Ins Palais! – Was das zu bedeuten hatte, darüber war Niemand im Zweifel, als man auch von der gnädigen Audienz erfuhr, welche die Königin dem schönen Mädchen gewährt. – »Nun wird's ja Alles klipp und klar. Ja, wer nur 'ne hübsche Larve hat und Counexionen, dem fehlt's nicht.«
So hatte Madame Braunbiegler gesagt. Madame Braunbiegler war ihrer Zeit eine berühmte Persönlichkeit in Berlin, was man heut nennen würde ein öffentlicher Charakter, von der sehr viele Dicta noch umgehen. Wenn der Raum unserer Erzählung, die zu Ende geht, es erlaubte, hätte sie das Recht und die Antwartschaft auf eine bedeutendere Rolle darin, als wir ihr angewiesen, aber der Rahmen schließt sich, und die Rücksicht auf den deutschen Stil und die Grammatik, die wir bis da nach unsern schwachen Kräften beachtet, verbietet uns, ein Bild in den Vordergrund zu stellen, welches für viele Leser unverständlich bliebe, ohne eine vorausgeschickte Abhandlung über den Mark-Brandenburgischen Unterschied zwischen Mir und Mich. So genüge denn für dieses Mal – denn es ist wohl möglich, daß wir ihr künftig wieder begegnen – ein Dictum, welches mit stereotypischer Genauigkeit aus den Akten jener Zeit entnommen ist.
Ex ungue leonem.
Madame Braunbiegler hatte das Gespräch über den betreffenden Gegenstand mit den
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