Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
Worten geschlossen: »Denn heirathet er ihr och noch! Da gratulir' ich. Er hat nischt und sie hat nischt. Des wird 'ne magere Kalbfleischsuppe. Ne sage ich doch, wenn pover Volk noch dicke thun will und vornehm sind, die können mich gestohlen werden.«
Madame Braunbiegler musste sich dabei echauffirt haben; es kostete ihr immer eine Gemüthsbewegung, wenn sie von ordinären Leuten sprach, die es den Reichen gleich thun wollten. Sie war den liberalen Ideenabgeneigt und hielt auf Standesunterschied. Der Shawl war ihr beim Echauffement von den leuchtenden Schultern gerutscht. Herr von Wandel legte ihn ihr sanft wiederum: »Sie könnten sich erkälten, gnädige Frau,« flüsterte er mit der sanftesten Stimme.
Der Ritter begehrten nicht den Dank der Dame. Wie zufällig, hatte er sich auf einen Stuhl am Spieltisch niedergelassen, wo Frau Geheimräthin Lupinus schon mit der Karte in der Hand saß. »Was sagt meine Freundin dazu?«
»Was ich dazu sage? Das kommt doch nicht in Betracht. Was aber wird die Gargazin dazu sagen?«
»Sie ist vielleicht auch froh, daß sie das Wunderthier los ist,« sagte Wandel leiser. »Besteht nicht unser Leben eigentlich aus Knüpfen und Lösen. Mit dem Knüpfen werden die Meisten bald fertig, aber am Lösen, weil sie nicht voraus daran gedacht, scheitert ein Bischen Verstand, und an den ungelösten Knoten des Daseins ging so Mancher unter. Es ist vielleicht die Aristokratie der Erwählten, diese Kunst sich anzueignen, bei Allem, was sie schaffen und wirken, schon an die Auflösung zu denken. O wer es dahin gebracht –« »Wenn Alles aufgelöst ist, was ist denn dann?« unterbrach ihn die Wittwe. »Freiheit, Chaos, wie Sie es nennen wollen, allgemeine Glückseligkeit: denn ist es nicht ein Glück, wenn wir nicht mehr zu sorgen und zu denken brauchen um Bagatellen! – Ist das Leben mehr, meine Freundin! – Pardon, ich halte Ihr Vergnügen auf, Madame wartet –«
Er hatte der Braunbiegler Platz gemacht, die sich mit ihrer Karte dem Tisch näherte. Aber mit derselben Unbefangenheit war er zur Baronin Eitelbach getreten, die am Fenster stand. Er klopfte auf ihre schöne Hand, er brachte die Fingerspitzen an den Mund. »Immer pensiv?« – »Sagen Sie mal, Legationsrath, was sieht denn Fuchsius immer auf die Lupinus? Er ist doch nicht in sie verliebt?«
»Ei, meine Freundin, eine so scharfe Beobachterin; man muß sich vor Ihnen in Acht nehmen.« – »Nein, er observirt, er lässt sie nicht aus den Augen. Ich sehe das schon eine halbe Stunde an.« – »Nun, wenn es ein süßes Spiel der Liebe wäre, was kümmert es uns Beide.« – »Ich bitte Sie! – Die Lupinus–« »Lassen Sie doch die arme Wittwe in Ruh. Haben Sie nicht an Anderes zu denken.« – »Sie sind ein guter Mann, ich kenne Ihr Herz und Sie meinen es von Herzen,« sagte die Baronin, »aber warum müssen Sie mich immer bei Seit ziehen?« – »Um alle Gedanken abzulenken. Denn mich,« sagte Wandel mit einem Seufzer, »wird man doch nicht für den Glücklichen halten können. Im Uebrigen bis jetzt geht Alles gut. Wenn wir nur auf seine Verschwiegenheit rechnen könnten. Offiziere plaudern gar zu gern – in der Wachtstube, bei einer Flasche Wein –«
Er ward unterbrochen, durch den Eintritt einer neuen Person. Eben hatte sich Madame Braunbiegler auf ihren Stuhl niedergelassen, mit einem: »Na, kommt man denn endlich zur Ruhe. Das war doch heut eine Störung« – als eine neue schon wieder da war. Der Geheimrath Lupinus, nicht der selige, sondern von der Vogtei, war eingetreten, und sofort schien man zu wissen, weshalb. Die Wirthin gab dem allgemeinen Gefühl den Ausdruck: »Ach Gott, die Flanellleibbinden fehlten noch!«
Die neueste Thätigkeit des Vogtei-Lupinus musste also eine bekannte Sache sein; was wird in Berlin nicht bald zu einer bekannten Sache. Wer etwas gelten wollte, musste sammeln, natürlich für die armen Krieger; wer sich hervorthun wollte, für einen neuen Zweck. Von Winkelsammlern wimmelte es in den Häusern und auf den Straßen. Der Geheimrath sammelte für wollene Leibbinden. Die Mäntel waren für die Infanterie, die wollenen Leibbinden für die Kavallerie. Weshalb grade der Vogtei-Lupinus diese Sache mit Eifer ergriffen, dafür wusste der böse Leumund auch einen Grund. Nachdem der Geheimrath seine Papiere und Listen aus der Mappe genommen, welche ein Beamter ihm nachtrug, hub er an von dem Nutzen der Leibbinden im Allgemeinen, er citirte Hufeland und Heim über die Wichtigkeit, daß der Magen
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