Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
wider Willen belauschen, und da ist mir, wenn ich einen stillen Teich sehe, den kein Lüftchen kräuselt, als werde er plötzlich gähren, sich heben, toben und Ungeheures zu Tage kommen. Wo wir's am wenigsten erwartet, in den friedlichen Kreisen, die wir die glücklichen nennen, als braue unter der Ruhe Entsetzliches. Die Luft drückt mich, und zuweilen wünsche ich, daß der Sturm komme, die Elemente toben; ein Krieg erscheint mir nicht mehr so schreckenvoll, wenn diese brütende Stille nur aufhört.«
»Das sind Imaginationen, vielleicht aus den neuen Büchern. Diese Schlegel, Tieck, Novalis sind aber eine excentrische Lektüre, welche das Blut erhitzt; keine für ein junges Mädchen, das Herz und Geist zum Umgang mit rechtschaffenen Menschen ausbilden will.« – »Mich dünkt, Ihre Majestät, die Zeit ist auch zu ernst, und fordert von uns andere Pflichten, als in der Märchenwelt zu lustwandeln.« – »Das ist verständig von Ihnen. Man eifert auch gegen das Lesen von Romanen und Schauspielen, aber man thut Unrecht. Unser Iffland führt uns doch immer rührende Beispiele vor, wie wir uns glücklich finden können in beschränkten Verhältnissen. Sie wollen es tadeln, daß er die bösen Menschen immer aus der vornehmen Welt nimmt. Aber hat Iffland Unrecht? Ich wenigstens und der König sehen uns immer mit Befriedigung an. Sie sollen sich nur ein Exempel dran nehmen, die es trifft, sagte neulich mein Gemahl. – Den Lafontaine möchten sie uns auch verleiden, aber wie viele herzliche und frohe Stunden verdanken wir ihm, wie vielen Trost, wenn wir Abends nach einem verdrießlichen Tage uns mit ihm auf dem Sopha vom Gewühl zurückzogen. O es giebt solche Tage, wo Fürsten nichts hören als Klagen, Gegenanschuldigungen, wo uns die Welt wie ganz verderbt erscheint, ein Knäuel von Schlangen, sagten Sie, wir wollen es nur ein Durcheinander von bösen Menschen nennen. Da, wenn wir uns fürchten mussten vor Allem, was uns nahe kam, da erquickte uns Lafontaine mit der rührenden Einfalt seiner Person, wir sahen uns an, und wenn wir uns nicht aussprachen, dachten wir es: es giebt doch noch gute Menschen. Warum sind die es nicht, welche die Vorsehung uns in den Weg führt. Zuweilen erhört dann der Himmel unsern Wunsch, und wenn wir es am wenigsten erwarten.« Der gütigste Blick ruhte auf Adelheid. »Was sind denn Ihre Lieblingscharaktere in Lafontaine?« fragte die Fürstin, um sie in ihrer sichtbaren Verlegenheit aufzumuntern. Die Gütige sah wohl die Wirkung, aber nicht die Ursache. Adelheid hatte an den Romanen nie Geschmack finden können: sie hatte die wenigsten durchgelesen. Sollte sie lügen vor einer Monarchin, die allen Schmuck der Hoheit vor ihr abgelegt, und nur in ihrem edelsten Selbst sich gab! Adelheid hätte in diesem Augenblick aufstehen und ihr zu Füßen stürzen können, um die Wahrheit in ihr zu verehren, die nicht in schönerer Gestalt sich verkörpern konnte, aber die Unwahrheit sprechen konnte sie nicht.
Es floß von ihrem Munde, was sie dachte, mit einer kleinen Einfassung von Schmeichelei, die darum nicht Unwahrheit war: »Mich dünkt, des Dichters Aufgabe ist, die Menschen zu schildern, wie sie sind. Weil er Dichter ist, darf er das Schöne und Erhabene in seinem wunderbar geschliffenen Spiegel vergrößern und verschönern, und es mag ihm auch vielleicht erlaubt sein, das Hässliche und Schlechte noch etwas hässlicher zu machen. Doch das verstehe ich nicht und bescheide mich deshalb. Das Große und Schöne soll er indeß nicht hässlich und niedrig malen, sonst widersteht er unserm Gefühl, denn von der Dichtung verlangen wir Frauen wenigstens, daß sie unsre Gefühle erheben und uns die ewige Schönheit ahnen lassen soll. Aber wenn er umgekehrt das Kleinliche und Hässliche ausschmückt, und dem Gemeinen den Schein der Tugend und des Edelmuthes umhängt, damit uns das gefalle, was wir meiden und verabscheuen sollen, dann kommt es mir vor, als versündigte er sich an seinem hohen Beruf. Wenn ich durch die Wimpern einer edlen Fürstin eine Thräne sich drängen sehe, weil sie bang einer schweren Zukunft entgegen sieht, für ihre Familie, ihr Volk, ihr Land, oder ist's eine der Freude, daß ihr Gemahl siegreich aus dem Felde zurückkehrt, ihre Kinder ihr Freude bereiten, ihr Erstgeborner einen ersten Zug entfaltet, der an den Edelmuth und die Tapferkeit seiner Ahnen erinnert – das, dünkt mich, ist eine Thräne, die der Dichter auffassen muß wie ein Juwel im Sonnenschein. Aber entweiht er
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