Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
außer sich bringen. Er hing mehr, als er saß, auf dem Pferde, ein leichenblasses Todtengesicht mit gläsernen Augen und stierem Blick. Der Hut war ihm vom Kopf geflogen, die Haare hingen in zerrissenen Streifen vom Scheitel. Wie gänzlich vom Ritt erschöpft, hielt er sich mit den Händen am Sattelknopf, während die Lippen konvulsivisch bebten im Versuch, Worte hervorzubringen. Jetzt gelang es ihm, er riß zugleich Briefe aus der Brust, die Worte kamen abgebrochen vor: »Zurück – die Königin muß zurück – die Feinde in Naumburg – die Brücken genommen, Franzosen auf den Höhen von Kösen – ein Angriff von dort!« – »Die Franzosen!« schrien zehn Stimmen. »Wir sind verloren!« die Hofdamen. »Kehrt! Kehrt! Auf der Stelle Kehrt gemacht!« kommandirten die Stallmeister. »Ist schon Gefahr?« rief die Königin zum Fenster hinaus. Ihr Blick schien dem Erschöpften auf einen Augenblick Besinnung und Kraft wiederzugeben. »Noch nicht – noch um Stunden sind sie zurück – mein guter Renner – aber Majestät muß nach Weimar zurück, über den Harz ist noch ein sicherer Rückweg. – Diese Schreiben an den König! – Schreiben der Arglist – traue Niemand.«
Die Briefe flogen aus seiner zitternden Hand grade noch in den Wagen, als dieser Kehrt machte und die Insitzenden den Reiter aus dem Gesicht verloren. Es war gut, daß die Hofdamen Riechfläschchen bei sich führten, ein Händedruck der Königin wirkte indeß vielleicht doch belebender. Luise hielt mit der Linken Adelheids Hand, während sie aus dem Fenster mit den Stallmeistern und den begleitenden Offizieren sprach. » Die Gefahr ist vorüber!« sagte sie, den Kopf zurückziehend. »Er stirbt!« rief Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, sich aufzurichten. Dann ward sie still und blickte ruhig vor sich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, sie zu beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Gesicht erblickt haben. Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wagen schien sich nicht fortzubewegen: alles Peitschen und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren. Endlich stürzten sie; es war aber am Eingang ins Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preußischen Avantgarde war das Dorf schon besetzt. Rüchel hatte einen Adjutanten der Königin nachgesandt, dessen Meldung mit der des Reiters übereinstimmte, sie müsse in Eil nach Weimar zurück, von dort seien Relais und Escorte nach Sondershausen und dem Harze für sie bereit. Aber noch fehlten die Pferde, auch am Wagen war etwas zu bessern.
Die Königin ging ins Dorf zurück. Sie sprach lebhaft mit den Offizieren. Sie schien in raschen, scharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Gesicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein. Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; sie stand, ohne zu wissen wie und warum, auf dem Kirchhof. Ein angelehntes Hinterpförtchen führte in die Kirche; eine einfache gothische Landkirche von Steinquadern, mit einer Balkendecke. Und doch hatten Reste von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenstern sich erhalten; spinneumwebt, verdunkelt von Staub und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um dem Sonnenschein, der eindrang, eine dumpfe, gelb brennende Färbung zu geben. Sie passte zu ihrer Stimmung. Ob der Schein sie lockte, ob eine Ahnung?
Sie war eingetreten. Sie sah nichts von den Schrecken. Vielleicht waren sie schon entfernt. Auf den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der Königin die Rettungspost gebracht. Sein Pferd hatte sich losgerissen von den Vorreitern, die es auf einen Wink des Stallmeisters am Zügel führen sollten. Der Mann selbst war ja nicht mehr im Stande, es zu lenken. Im Dorfe war das Thier gestürzt mit seinem Herrn – ein heftiger, tödtlicher Blutsturz. Louis Bovillard hatte sich nicht mehr aufrichten können, der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen lassen.
Der Sonnenschein fiel durch die gelben Scheiben grade auf sein Gesicht, als Adelheid eintrat. Sie schrie nicht auf, sie rang nicht die Hände, ihre Knie zitterten nicht. Schien es doch, als sei es nur die Erfüllung von etwas, was sie längst gewusst. Die Hände faltend blieb sie noch in der Entfernung stehen und blickte auf ihn, wie man zum ersten Mal den Grabstein eines theuren Verblichenen erblickt. Nicht einmal eine Thräne stürzte aus ihrem Auge. Aber etwas hätte sie befremden mögen, – auf der Stufe drunter die jugendliche Gestalt eines Weibes; sie hatte ihr Tuch über seine Füße gebreitet und ihr Gesicht in seinen Schooß gedrückt. Ein Bildhauer
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