Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
– Uebrigens –« sagte er mit wehmüthigem Lächeln – »muß man die Gefälligkeit der französischen Behörden bewundern. Daß wir in einem Kampf auf Leben und Tod sind, in einem Kriege, der sie verpflichtet, Tausende und aber Tausende der Unsern umzubringen, hindert sie nicht, uns in unserm köstlichen Rechte beizustehen, damit wir ja nicht fehl gehen, ein uns verfallenes Justizopfer, und wäre es auch aus ihren Reihen, zum Tode zu fangen! Welche Zuvorkommenheit! Es war Laforest's letzter Akt hier, unserm Kanzler die Akten aus Paris zu kommuniciren. Eine schöne Sache um das Band der Civilisation! Die Revolutionen, die große Verbrecher krönen, retten die kleinen nicht vorm Galgen. Die ganze Welt wird für ihn zum Netz und ein Verbrecher findet in keinem Staat und keinem Volke mehr ein Asyl!«
Er war ans Fenster getreten. Als er nach den Sternen ausschaute, sah er einen fernen Lichtschein. Es kam aus einem Hoffenster in einer jenseits gelegenen Straße. Er kannte die Straße, das Haus, das Fenster. Hier wohnte der Legationsrath. Das Fenster gehörte zu seiner Küche, die Küche diente ihm zum Laboratorium. Was konnte Wandel so früh hier zu schaffen haben? Er war ein Nachtschwärmer; er experimentirte nie anders als bei Tageslicht, hatte er selbst zu Fuchsius gesagt. Was präparirte er jetzt? Es war zwischen drei und vier. Und das Licht verschwand nicht. Gedanken durchzuckten ihn in rascher Folge. Was kann er in dieser Nachtstunde experimentiren? Warum die Heimlichkeit? Warum hat er, bei aller Offenherzigkeit in andern Dingen, Niemand klaren Wein über seine Vermögensverhältnisse eingeschenkt? Warum schweigt über ihn der alte van Asten, der einmal merken ließ, daß er etwas wisse, und jetzt behauptet, daß er nichts weiß? Er hatte Wechsel von ihm in der Hand! – Wechsel! Fuchsius sah Wandel schreiben. Er rieb sich wieder die Stirn. Plötzlich saß er am Tisch und wühlte in den französischen Akten. In einem kleinen vergilbten Handbillet verfolgte er mit dem Auge und mit dem Finger die Buchstaben. Ebenso rasch riß er das vorige Aktenstück herbei, und verglich Wort um Wort, es schien Buchstabe um Buchstabe. Es war ein französisch geschriebenes Billet Wandels an die Lupinus: »Welche täuschende Waffe die Aehnlichkeit der Schriftzüge! Wie man auch da sich in Acht nehmen muß!« Aber plötzlich vergrößerten sich seine Augen, sein Mund öffnete sich – ein, zwei – drei Worte – nicht nur die Schriftzüge der Buchstaben, die Schleifzüge, die Abbreviaturen waren dieselben, auch die ungewöhnliche Orthographie.
»Florestan Vansitter!« rief er aufstehend, und es schien, als fröstele ihn. Er warf einen Blick in den Spiegel, sein Auge glänzte ihm entgegen, ein Glanz, den man der Freude beimisst. »Pfui,« entfuhr es seinen Lippen. »Ist das nicht die kannibalische Lust des Menschenfressers, wenn er sein Opfer auf Schußweite erblickt! O du Mantel der Humanität, der uns so schön sitzt, aus welchen Mondscheinspinnefäden bist du gewebt!«
Als er sich angekleidet und der graue Tag schon durch die Fensterscheiben blickte, stand ein junger Mensch in unansehnlicher Kleidung vor dem Rathe. »Nichts von Wichtigkeit,« antwortete der Eingetretene auf eine Frage des Rathes. »Ihr Benehmen im Gefängniß bleibt dasselbe. Sie ließ den Hofrath Heim, der ihr die Wahrheit sagte, anlaufen und verbat sich seine fernere Theilnahme.« – »Sie kennen wir« , entgegnete Fuchsius, »aber mein Auftrag war, daß Sie auf alle Ereignisse und Bewegungen in dem Kreise Acht hätten, dem sie bis jetzt angehört. Was haben sie da beobachtet, Eckard?« – »Nicht das Geringste, was zur Sache gehört,« erwiderte Eckard mit einiger Selbstzufriedenheit. »Ob es dazu gehört, werde ich beurtheilen. Was macht ihr Schwager?« – »Er wird sich doch nicht freuen, daß er pensionirt ist. Der Auszug aus seiner Amtswohnung in der Voigtei liegt ihm noch in den Gliedern. Er spuckt. Neulich in der Weinstube bei Sala Tarone ließ er einen Witz los. Sie haben darüber gelacht. Das passirt ihm jetzt selten,« – – »Welchen?« – »Damals, als er wirklich eine Bêtise begangen, sagte er, nämlich mit den Gefangenen, sei er mit blauem Aug' davongekommen, und jetzt müsse er büßen, wo er unschuldig sei wie ein neugeboren Kind. Er hätte doch seinem Bruder nie was zu trinken gegeben. Nun müsse er aus Haus und Brod, bloß weil es sich nicht schicke, daß er der Kerkermeister seiner Schwägerin würde.« – »Die Justiz ist blind,
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