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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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an den Bergen und die Erde unter ihm zitterte. Jetzt trieb ein frischer Morgenwind die Nebel aus einander. In dem Rahmen breitete sich zu seinen Füßen ein sonnenerhelltes Bild – die Schlacht von Jena.
    Und in ihm riß auch ein Vorhang, es ward heller und heller: dort will er den Fürsten von Hohenlohe schlagen, und er wird vernichtet, wenn das Hauptheer ihm nicht zeitig zu Hülfe eilt. Den König soll der Brief zweifelhaft machen, er soll, der Sirenenstimme der Friedenslockung horchend, den Moment versäumen, er soll zaudern, um selbst vernichtet zu sein! Louis Bovillard fühlte an sein Herz. Es schlug nicht, wie es sollte, er fühlte seinen Puls, er konnte die Schläge nicht zählen, er drückte die Hand an seine kalte Stirn. Ein tiefbanger Seufzer stieg aus seiner Brust: »O Du Lenker des Weltalls! – nur bis dahin – warum so groß die Mission, wenn der Athem so kurz ist. Kraft nur – dann – dann –« Der Andalusier unter ihm scharrte und schnaufte in frischer Morgenjugendlust: »Dank für das Geschenk!« rief Louis. »Trage mich, mein Segler, durch die Lüfte. Du und ich, wir mögen in Staub sinken, wenn der Athem nur ausreicht zu einem Wort – ein letztes Wort!«
     
Vierundachtzigstes Kapitel.
     
In der Dorfkirche.
    Im letzten Dorfe, welches die Königin passirte, hatten die Relaispferde gefehlt. Der Geistliche hatte seine Ackerpferde vorgespannt; aber sie waren auch müde, eben von einer Vorspannfahrt zurückgekehrt. Die Königin glaubte dem alten Manne die Sorge um seine Thiere anzusehn; sie hatte sich anfänglich geweigert sie anzunehmen. Der Prediger hatte erwidert: wer weiß, was heute sein ist, ob es morgen sein bleibt! Wer es hingiebt zu einem guten Werke, hat das Bewusstsein hinter sich.
    Es war noch keine Flucht; die Monarchin hatte endlich, von den tausend Stimmen, die laut und lauter gegen ihre Anwesenheit beim Heere sich aussprachen, gedrängt, das Hauptquartier verlassen; sie wollte über Naumburg nach ihrem geliebten Magdeburg zurück. Es war ein herzzerreißender Abschied gewesen von dem Gemahl – der Schatten einer Leiche schwebte schon über der Umarmung. Ihr schwarzes Kleid galt der blutigen Erinnerung an den Prinzen Louis Ferdinand.
    Tausend wüste Nachrichten schwirrten durch Weimar, als sie es verließ. Alles hatte sich verändert, der Feind kam nicht von daher, wo man ihn erwartete, sondern griff vom Rücken an. So viel wusste man schon, nicht, wie weit er vorgedrungen. Die festen Positionen an der Saale mussten ihn doch aufhalten! Aber Wirrwarr überall auf der Straße: verfahrenes Fuhrwerk, Marodeure, Kranke, umgestürzte, geplünderte Bagagewagen, versprengte Flüchtlinge, die, jenseits der Saale durch die ersten Angriffe der Franzosen geworfen, jetzt ihre Corps aufsuchten. Viele suchten sie auch nicht. Bei Lobeda war die sächsische Bagage, ehe die Franzosen erschienen, von den eignen Trainknechten aufgegeben, überfallen und geplündert worden. Wer mochte unter den Hunderten, die davon auf der Straße erzählten, die Vorfallenheiten vergrößerten, ausschmückten, die Beraubten immer von den Räubern unterscheiden! Wohin war schon jetzt der Zauber der Autorität, wenn man Mühe hatte, für den königlichen Wagen Platz zu machen.
    In jenem Dorfe mochte die Ankunft der Monarchin eine Katastrophe abgewendet haben. Verwilderte Schaaren Zersprengter, die sich eingelagert, machten Miene, das Mein und Dein zu vergessen. 'S ist Krieg, da hört Alles auf! hörte die Königin mit eignen Ohren. Welche Schadenfreude auf den Gesichtern jener Soldaten, die an der Hecke nicht schulterten, und sie trugen den preußischen Rock, sie wussten, daß es ihre Königin war. Es sind ausgehobene Polen! Sollte die Monarchin dies zugeflüsterte Wort beruhigen? Unter dem blauen Rock sei Herz und Verlaß, hatte man sie gelehrt. Wenn nun Tausende von Herzen darunter schlugen, auf die kein Verlaß war, und Friedrichs Disciplin fehlte! Daß diese nicht mehr sei, hatte sie in Weimar, Naumburg, selbst in Berlin von so vielen klagenden Stimmen gehört. Auf dem Kirchhof sangen Marodeure, die ihre Beute von Lobeda theilten, unter wildem Gekreisch das Räuberlied: Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne! – Die Königin, während der Umspannung einen Augenblick abgestiegen, hatte in die offene Kirche treten wollen, der Geistliche aber bat sie, umzukehren, es seien da Verwundete, Sterbende untergebracht. Es mochte noch mancher andere Anblick sein, nicht geeignet für die Augen einer zarten Frau.

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