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Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht

Titel: Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Alexis
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hätte die Figur der Trauer nicht besser dargestellt. Ihr aufgelöstes Haar wallte um ihren Nacken.
    Auch die Anwesenheit dieser Trauernden störte sie nicht. Sie war jetzt neben ihm niedergekniet und hatte die kalte Hand erfasst, die sie an die Lippen drückte. Sie schien zu beten, als es hinter ihr rauschte; die Königin legte die Hände sanft auf ihren Scheitel; »Mein Kind, es trifft Jeden sein Theil und Du warst darauf vorbereitet.« – »Wenn er nur noch einmal die Augen aufschlüge!« athmete sie leise. – »Um meinen Dank in den Himmel mitzunehmen, denn er hat seine Königin gerettet. Ich kann ihm nicht mehr danken.« – »Doch, Königin.« sprach Adelheid, sich umwendend. »Gönnen Sie mir die Freiheit, lassen Sie mich hier zurück. Ich war seine Braut vor Gott und vor Ihnen, er darf nicht verlassen sterben. Die Pflege ist spät, aber den letzten Dienst kann ich ihm erzeigen. Lassen Sie mich ihm die Augen zudrücken.« Da richtete sich das verwilderte Mädchen etwas auf und starrte die Hinzugekommenen an. Der Traum der Wahrheit schien durch ihre brechenden Augen zu dämmern.
    Die Gräfin Voß war an die Königin, die zweifelnd dastand, getreten und flüsterte ihr zu: »Wenn Ihro Majestät das zugeben, ist es absolut unmöglich, daß die Demoiselle ferner, in welcher Stellung es sei, in Dero Nähe verweilt. Ja, wenn sie nur getraut wären –« In dem nächsten Augenblick geschah vieles. Der alte Geistliche hatte sich über den Sterbenden gebeugt: »Er athmet noch.« – Das Mädchen zu seinen Füßen rief wie in wahnsinniger Freude: »Louis schlägt die Augen auf.« Der Sonnenschein hatte eine rothe Scheibe getroffen, und ein rosiger Schein breitete sich über die eng zusammengedrängte Gruppe aus. Der Todte lebte noch, er schien zu lächeln, er erkannte die Gegenstände. Die Königin aber hatte im nächsten Augenblicke mit dem Prediger heimlich gesprochen. »Ich übernehme alle Verantwortung.«
    Der Geistliche erwiderte: »Auf die wage ich es selbst vor dem höchsten Richter, wo ich bald mit ihm erscheine. Aber hat er die Besinnung – und die junge Dame?« – »Sie wird ihr Ja deutlich sprechen,« hatte die Königin geantwortet und flüsterte Adelheid etwas ins Ohr: »Bleib' knieen, mein Kind!«
    Da wollte es der Zufall, während der Pfarrer in Kürze die liturgischen Formeln der Trauung sprach, daß ein Knabe des Küsters auf der Orgel intonirte. Der Sterbende wollte den Kopf aufrichten, das gelang ihm nicht, aber von seinen Lippen kam es: »Da rufen sie uns!« Der Prediger sah froh der Königin ins Gesicht, welche Adelheid schnell einen Ring an den Finger gesteckt hatte. Das fremde Mädchen aber hielt den Kopf des Sterbenden, während der Prediger die Ringe wechselte. Als er die entscheidende Frage that, antwortete ein Ja so wunderbar laut, daß es die Orgel übertönte. Es war sein letztes Wort. Kaum daß der Segen gesprochen, sank er röchelnd nieder. Der Brautkuß war der Sterbekuß. Das fremde Mädchen weinte und lachte: »Ich habe doch seinen letzten Händedruck.« – Die Königin sagte: »Ich konnte ihm doch danken.«
    Der Wagen stand fertig vor der Kirchenthür. »Frau von Bovillard! sprach feierlich die alte Voß, Ihro Majestät sind bereit.« Die Fürstin sah fragend auf die Trauernde. Ihr Blick schien zu sprechen: »Willst Du mich jetzt verlassen!« Der Geistliche sagte: »Für die Todten sorgt Gott und die Kirche. Wer noch Pflichten im Leben hat, fliehe von hier. Den Todten ist wohler in der Erde als den Lebendigen, wo die Verwüstung ihr Reich aufschlägt.«
    Das fremde Mädchen schrie wie im Irrsinn auf: »Er wird nicht allein begraben werden.«
     

Fünfundachtzigstes Kapitel.
     
Ein Frühstück bei Dallach.
    Es ist in der Luft eine Magie, die unsere Wissenschaft noch nicht erklärt hat; eine Kommunikation durch unfassbare Organe, welche die Begebenheiten verbinden. Unergründlich nannten unsere Väter eine Tiefe, die sie noch nicht ergründet; unfassbar hätten sie das Lichtbild genannt, wir lernten es fassen und festigen auf der Platte, und an Drahtseilen fliegt der Gedanke hunderte von Meilen in Sekundenschnelle, und drückt sich auf die Tafel in bunten Buchstaben, für jedes Auge lesbar. Dieses Lichtbild spiegelte sich auch schon vor den Augen unserer Väter, der Gedanke flog auch da mit derselben Schnelle, nur fassten sie ihn nicht, weil ihnen die Verbindungsmittel unbekannt waren; weil sie die Platten und die Drahtseile nicht sahen, tauften sie es Wunder. Alte Leute entsinnen

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