Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
sich, daß man in der Stille der Nacht nach dem 14. October vor Berlin auf der Erde die Schläge des Kanonendonners von Auerstädt hatte hören können. Von Andern sagt man, daß sie am folgenden Tage schon den Ausgang der Schlacht gewusst. Aufgeklärte meinten, das sei nur die Nachdröhnung gewesen von dem unglücklichen Gefecht von Saalfeld, die als Vorahnung gespukt.
Nicht Alle waren es, es waren nur Wenige, darunter zwei, die wir kennen. Der Rath Fuchsius konnte in der Nacht nicht schlafen, seine Beängstigung ward gegen Morgen immer größer. Er horte die Kanonenschläge, sein Bett schien unter ihm zu zittern; wie fest er auch die Augen zudrückte, er sah immer wieder den hellen Schein, wie ein Nordlicht, das am äußersten Horizont aus der Erde quillt. Er zündete das Licht an und ergriff eine Lekture, es war ein Band des Shakespeare. Die Stelle aus Macbeth, die er aufschlug, war nicht geeignet, seine Träume zu beschwichtigen:
Die Nacht war stürmisch; wo wir schliefen, heul' es
Den Schlott herab; und wie man sagt, erscholl
Ein Wimmern in der Luft, ein Todesstöhnen,
Ein Prophezein in fürchterlichem Laut,
Von wildem Brand und gräflichen Geschichten,
Neu ausgebrütet einer Zeit des Leidens,
Der dunkle Vogel schrie die ganze Nacht durch:
Man sagt, die Erde bebte fieberkrank.
Er sah die Schlacht, die meilenweit sich dehnende, mit ihren wankenden und wogenden Linien, den dampfenden Batterieen, den Kavallerieattaquen, und so gewiß er das Herz unter der Brust pochen hörte, so centnerschwer drückte ihn eine Gewißheit – daß er nichts Frohes sah.
Um den fürchterlichen Alp los zu werden, zündete er noch ein Licht an und begrub sich unter seinen Akten. Auch aus diesen Bergen stiegen Dünste, tiefe Schachte öffneten sich, deren Ende er nicht sah, und Sphinxe lagerten sich vor dem Eingang.
»Ein Weib, das selbst eine Sphinx ist,« rief er, sich im Armsessel zurücklehnend, »und der Oedipus will nicht erscheinen. Die Thatsache liegt nackt da, und alle Bezüge, Fäden, die zu einem Motiv führen, plötzlich abgeschnitten!«
Er blätterte weiter in einem Konvolut. Es waren Privatkorrespondenzen der gefangenen Geheimräthin: »Welcher Verstand! welche klare Erwägung der Verhältnisse, welche ruhige treffende Beobachtung im Urtheil über Personen! Und nirgends nur ein Wink von auswärts her! Alle ihre Verbindungen bestehen die Probe. Und vor allem dieser!« Er überlas noch einmal die Billette, welche Wandel an die Lupinus gerichtet, und die mit ihrer ganzen Korrespondenz zu den Akten genommen waren.
Er fuhr, wie ein Unzufriedener mit sich selbst, mit beiden Händen über das Gesicht: »Wie ein Kriminalrichter sich in Acht nehmen muß, auch auf den dringendsten Verdacht hin, eine bestimmte Meinung zu fassen! Wie leicht verführt er sich, und wie schwer wird es ihm, dann wieder auf den richtigen Weg einzulenken! – War ich nicht schon innerlich überzeugt von der Identität jenes von der französischen Justiz verfolgten Aventuriers mit Herrn von Wandel! – Seine Verbindung mit meiner Giftmischerin erschien mir als ein nur zu deutlicher Fingerzeig! – Selbst die kecke Weise, wie er sich mir damals aufdrängte, konnte mich noch nicht ganz überzeugen. Man hat Beispiele – und er ist klug, sehr klug! – Aber diese Briefe an die Lupinus! – Der klarste Spiegel einer unbefangenen Seele, besser als er sich selbst darstellt. Er mag anderweitig – aber in dieser Sache ist er nicht implicirt. Nichts von Ostentation, Raffinement! Er schreibt wie ein welterfahrener Mann. Seine Rathschläge, wie vernünftig! Er warnt sie vor der Exaltation, ihr aufrichtiger Freund; anfänglich zwar scheint ein anderes Gefühl im Spiele, die Neigung steigert sich, aber dann dies allmälige Zurückfallen in den Ton der Achtung und des Respektes. – Schade, daß ihre Briefe fehlen! ja eine Ahnung von dem, was in ihr vorging, mag er gehabt haben, darum zog er sich zurück. Und soll ich es ihm als Verbrechen anrechnen, daß er sich jetzt Mühe giebt, eine von ihm hochverehrte Frau zu vertheidigen? – Als Kriminalist sollte ich es vielleicht, als Mensch kann ich es nicht.«
Fuchsius war an ein anderes Konvolut, das auf einem Nebentisch lag, getreten. Es waren französische Akten, er nahm eine Silhouette heraus und hielt sie ans Licht: »Und was bedeutete die Aehnlichkeit eines Schattenbildes mit einem lebendigen Menschen, wenn sie zu entdecken wäre! – Und dann, wie vieler Jahre Staub hat an diesen Papieren gezehrt!
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