Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
trifft aber in der Regel doch am rechten Fleck. Noch etwas von ihm?« – »Er heirathet sie. Das ist abgemacht. Im Dom ist schon die Trauung bestellt.« – »Aus Depit, daß er die Voigtei verlor?« – »Nun ja! Er sagt aber, weil er das Heulen der Charlotte nicht länger aushalten können. Das ist wahr, ihr Wachtmeister ist bei Saalfeld niedergehauen, als er den Prinzen raushauen wollte.« – »Was ist denn nicht wahr?« – »Daß der Major Stier von Dohleneck auch da geblieben wäre. Der ist nur blessirt vom Pferde gefallen. Sie haben ihn splitternackt ausgezogen, dann gefangen genommen, dann hat er ihnen sein Ehrenwort geben müssen, und so kommt er retour nach Berlin. Die Baroneß Eitelbach weiß es nur noch nicht; sie geht schwarz.«
Der Vigilant musste sehr genau, auch mit den inneren Familienverhältnissen, vertraut sein. Ein flüchtiges Lächeln ging über die Lippen des Rathes. »Was macht Geheimrath Bovillard?« – »Sieht schon wie eine Leiche aus. Larirt einen Tag um den andern; zur Abwechselung nimmt er auch Vomissements. Der Legationsrath Wandel sagt, wenn er so fortführe, würde es ihm ans Leben gehen. Es sei kein Spaß damit. Die Ruhr geht ohnedies bei der Witterung um, und die Werderschen bringen unreifes Obst. Man wisse aber garnicht, was noch daraus werden könne, denn die Ruhr könne noch was ganz Anderes sein, woran jetzt kein Mensch denkt.« Fuchsius hatte nur auf den einen Namen Acht gegeben: »Läßt der Legationsrath sich viel beim Kranken sehn?« – »Nicht eben. Er steckt ja fast immer bei der Braunbiegler. Auch mit dem Baron Eitelbach hat er viel zu schaffen. Der mag ihn nicht; aber er läßt ihn nicht los. Besonders wenn er in der Fabrik ist, da spricht er in allen Dingen mit.« Der Baron sagte: »wenn er mal in den Farbekessel fiele, dann wäre auch nichts verdorben, als die Farbe.« – »Eckard!« Der Rath zog ihn in den Winkel, als könnte die Luft hören, was er ihm zu sagen hatte. Er schloß: »Von jetzt ab vigiliren Sie auf ihn, Schritt und Tritt. Sie lassen ihn keinen Moment aus dem Auge, wo er hingeht, an wen er Briefe abschickt, von wo er Briefe empfängt, und wo möglich sehen Sie durch seine Wände.«
Auch der Legationsrath konnte in der Nacht nicht schlafen, auch er hörte den Kanonendonner, auch unter ihm zitterte das Bett, der Himmel leuchtete, er sah die Bataillelinien hin und her schwanken und war aufgesprungen, um Herr zu werden seiner Sinne.
Er zündete eine chemisch präparirte Kerze an, welche einen besonders hellen Schein warf, und trat, was er wirklich selten bei Nacht that, in sein Laboratorium. Alles, wie er es am Abend verlassen, dort hingen die Bilder, da das Gerippe, die Retorten, Kolben, Tiegel auf dem Heerde; einige kleine Fläschchen, auf die sein Auge zuerst fiel, standen wie zur Abkühlung am Fenster. Er hielt den Athem an, wie um zu horchen. Es bewegte sich außer ihm etwas. Er biß sich in die Lippen: Thorheit! es ist die aufgeregte Phantasie!
Da bewegte sich das Gerippe sichtlich, ein schrillender Ton kam aus der Mundhöhlung, es rauschte etwas heraus, es wehte durch die Luft und das Licht erlosch. Wandel sank nicht zu Boden, aber er presste den Leuchter so fest, daß das Metall eingebogen war, der Todtenschweiß, der von seiner Stirn tropfte, hatte ihn aus seinem Starrkrampf geweckt.
»Von einem Nachtvogel sich erschrecken lassen, der in seiner Angst durch den Schornstein eindrang!« rief er, nachdem er mittelst eines chemischen Feuerzeuges das Licht wieder angezündet. »Flattre nur, Unhold, Du bist kein Leben, und lügst keines mehr der schönen Hülle an. Es giebt keine Geister, nur Spuk, den, den die Schwäche unserer Nerven gebiert. Aber ein Spuk und eine Verhöhnung unserer Kraft, daß wir uns zumeist von Denen in Angst setzen lassen, die selbst vor Angst aus sich herausgehen.« Aber weshalb war er hier? Um mit den Gespenstern, an die er nicht glaubte, eine Lanze zu brechen? – Warum hatte ihn die Dröhnung des Kannonendonners, warum das Phantasma der Schlacht aufgeschreckt? Berührte ihn der Ausgang, welcher es sei? – »Doch!« rief er plötzlich. »Das ist der Vortheil jener chaotischen Katastrophen, welche die kleine Menschenwelt und ihre Ameisenhaufen, Staat und Gesellschaft genannt, durcheinander werfen, daß wir uns da frei fühlen. Wo das Haus über ihren Köpfen zusammenbricht, merken sie nicht das Insekt, das sie sticht. – Die Kerker öffnen sich – vielleicht! Es wird vergessen, Alles – nein, doch Vieles – auch
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