Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
das? – Vielleicht.« Er nahm die Fläschchen, hielt sie gegen das Licht und that sie dann in ein Etui »So viele Arbeit um – eine Bagatell. Ich ging doch an schwerere mit leichterm Muth, fast im elastischen Tänzerschritt. Aber der alte Asten hatte Recht. Die Polypragmosyne hat mir Schaden gethan. Das erste Gesetz lautet: nicht zu Vieles im Aug! Dies Abwägen verwirrt und schwächt unsere Sehkraft. Rasch drauf los. Die Weisheit unserer Väter: Frisch gewagt, halb gewonnen! Es ist eine ewige alte Fabel vom Hunde und dem Fleisch, und doch, wer wehrt sich vor dem Blendwerk, daß ihn das große Bild im Wasser verlockt. Und das: Morgen, morgen, nur nicht heute – wie viel kühnen Entschlüssen brach es den Hals.« Und doch schien er selbst durch hervorgezogene Sprüchwörterphilosophie entweder sich Muth einzusprechen, oder sich immer noch einen Aufschub abzulisten. Er packte die Fläschchen aus, um zu sehen, ob sie auch eingewickelt, waren. Er befühlte auch Gegenstände, die er nicht mitnehmen wollte. Es war so heiß in der Küche, ob von der eingeschlossenen Luft oder von seiner inneren Hitze? Schon hatte er die Thür in der Hand, als er zurückkehrte. Ihm fiel ein, daß er auch auf die schlimmste Eventualität sich waffnen müsse. »Sie dürfen auch nicht das finden, was sie bei der Lupinus gefunden.« Er musste schon vorgearbeitet haben. Nur aus einem Tiegel schabte er vorsichtig den Bodensatz und warf ihn in den Abzugsgraben. Dann streute er verschiedenen Farbenpuder verschwenderisch umher. Die Küche bekam dadurch einen Wohlgeruch: »In meinen Schminkpräparaten mögen sie meine Arkane entdecken.«
Dann näherte er sich dem Gerippe: »Wieder eifersüchtig? Gieb mir die Hand, Angelika.« Sie gab sie ihm, aber schüttelte er so heftig, oder war der Wandnagel lose? Das Knochenweib stürzte herab. Wir wissen nicht, ob er geschaudert, doch schnell hatte er sich und das Gerippe gefasst: »Das hätte ein böser Fall werden können, wie damals, als Du vom Pferde sprangst und ich Dich auffing. Du nanntest mich Deinen Lebensretter. Ja, ein theurer ward ich Dir. Zwei Mal für das eine Bischen Rettung nahm ich Dein Leben. Ihr armen jungen Weiber! Mit Eurem warmen Blut und leichten Sinn seid Ihr nun einmal vom Fatum destinirt, in unsere Netze zu flattern. Hier lernte ich Klügere, Kältere kennen, die auch denken, sogar berechnen konnten. Das war Euch unmöglich. Und doch weiß ich nicht, ob Ihr nicht die Glücklicheren seid. Ihr nipptet und dann schlürftet Ihr die Wonne des Lebens in vollen Zügen. Dann – mit einem Mal – war es aus! Aber jetzt – jetzt – mach' mir das Leben nicht schwer. Du könntest hier an der Wand in einem unbedachten Augenblick plaudern. Dort im Kasten bist Du nicht gefährlich, Du bist ein Präparat, eine anatomische Studie. Ruhe da sanft, und was würdest Du sagen, Liebchen, wenn ich Dir über Jahr und Tag eine Gesellschafterin zulegte? Schön und groß wie Du, aber etwas dumm. Was thut das? Sie wird Dich nicht langweilen. Sie ist stumm wie Du. Und wenn Ihr Beide dann friedlich neben einander ruht, sieh, den Trost gebe ich Dir, bei Dir wird mein Sinnen bleiben, wir werden nach wie vor kosen, bei Dir werde ich mir Rathes erholen, Du wirst mich verstehen. Die Andere ist eine Gliederpuppe, jetzt gelenkig, dann wie Du, aber Deine Folie. Adieu, mein Herz!«
Und wer behauptet, daß seines nicht doch schlug, daß der kalte, grässliche Hohn auf seinen Lippen nicht nur der Mantel war, der die Natterstiche, das konvulsivische Aechzen, die Qualen, die keinen Namen haben, bedecken sollte? Nicht täglich, wie er der Lupinus log, drückte er das Gerippe an seine Brust. Es waren nur die fürchterlichsten Momente, wo er Kraft bedurfte, und er konnte sie in sich nicht finden. Wer sah den Angstschweiß auf seiner Stirn, wer, wie die Kniee wankten, wie er sich an das Treppengeländer hielt, als er herunter stieg. Es war ein saurer Gang. Warum? das wusste er sich nicht zu sagen. Er hatte schon viele Gänge der Art gemacht.
Aber draußen sah man ihm nichts davon an. Wie der Hahn, um die Witterung anzukrähen, schlürfte er sie ein. Die Luft war grau, regenhaltig, eine bange Stimmung, wie sie einem großen Unglück vorangeht. Der Tausendkünstler hatte schnell die Physiognomie sich angeeignet. Wo fand er nicht auf der Straße Bekannte! Wo sah man sich nicht ängstlich an, hatte sich trübe Nachrichten, bange Ahnungen mitzutheilen. Schon wandelten Frauengestalten in Trauer, die frühe Nachwirkung des Gefechtes
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